Sabine Wilhelm sprüht vor Begeisterung. Sie ist für die Weiterbildung von rund 120.000 Mitarbeitern bei der BMW Group zuständig. Während sie davon erzählt, ist ihr anzumerken, dass Aus- und Weiterbildung in ihrem Unternehmen für sie eine „Herzensangelegenheit“ sind. „Mich begeistert immer wieder diese Bandbreite an Wissen, die wir vermitteln. Es geht um ein enormes Qualifizierungsangebot“, erzählt sie. Gleichzeitig weiß die studierte Wirtschaftsingenieurin, dass es eine große Herausforderung ist, die Mitarbeiter kontinuierlich in der VUCA-Welt weiterzuqualifizieren oder auch umzuschulen. „Es geht auch darum, dass die Geschwindigkeit, in der Neues gelernt werden muss, enorm zunimmt.“ Das sei eine große Challenge, sagt Wilhelm.
Kompetenzaufbau auf vielen Ebenen
Damit der Kompetenzaufbau in einem so großen, weltweit tätigen Konzern gelingt, hat das etwa 60-köpfige Weiterbildungsteam um Wilhelm, das zum HR-Bereich gehört, klare Strukturen geschaffen und die vielen Veränderungstendenzen in der heutigen Arbeitswelt im Blick. Dabei geht es laut Wilhelm nicht nur um die digitale Transformation, die alle Unternehmen umtreibt. In der Automobilindustrie geht es im Speziellen auch um Elektromobilität und andere alternative Antriebe, aber auch um Zirkularität und Nachhaltigkeit, also den Fußabdruck, den ein Unternehmen hinterlässt. „Da bleibt kein Stein auf dem anderen“, beschreibt Wilhelm die derzeitigen Veränderungen.
Für die BMW Group bedeutet das, dass das Unternehmen die fachlichen und persönlichen Kompetenzen seiner Mitarbeiter regelmäßig prüft und festlegt, wie sich die Talente zukunftsfähig weiterentwickeln. „Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter brauchen Upskilling oder Reskilling, um fit für das Unternehmen und die Zukunft zu sein“, betont die Führungskraft.
Weiterbildungsbedarf frühzeitig erkennen
Das Aus- und Weiterbildungskonzept der BMW Group berücksichtigt verschiedene Aspekte. Zunächst müsse immer festgestellt werden, welche Skills Mitarbeiter hätten und welche sie sich aneignen müssten. Dafür werden in jedem Bereich jährlich Umfeldanalysen durchgeführt und diese mit der Unternehmensstrategie abgeglichen. „Daraus erkennen wir frühzeitig, welche Anforderungen wir im Business haben, und können notwendige Skills daraus ableiten“, erklärt Wilhelm.
Anschließend führen die Führungskräfte mit ihren Mitarbeitern Bildungsbedarfsgespräche. Diese finden ebenfalls jährlich statt. „Die Basis dieser Gespräche bilden Jobprofile mit entsprechend hinterlegten Kompetenzen.“ Insgesamt hat der Konzern fast 1.000 Jobprofile definiert, die weltweit Gültigkeit haben. Schließlich sind für einen Softwareentwickler die Kompetenzanforderungen weltweit nahezu gleich, egal ob er in Indien, China oder München sitzt.
In den Bildungsbedarfsgesprächen finden die Führungskraft und der Mitarbeiter heraus, in welchen Bereichen individueller Weiterbildungsbedarf besteht. Daraus leiten sie einen Lernpfad ab, der eine Richtung vorgibt. „Dem kann sich niemand bei der BMW Group entziehen“, sagt Wilhelm. Somit sei ein kontinuierlicher Wissensaufbau gesichert. Der Weiterbildungsbedarf könne durch ein berufsbegleitendes Studium abgedeckt werden, wie es viele Ingenieure absolvierten, aber auch durch andere Lerneinheiten.
IT-Weiterbildungen sind gefragt
Den größten Bildungsbedarf gibt es derzeit in den Bereichen Data-Anaytics, Softwareentwicklung, insbesondere im Hinblick auf KI und autonomes Fahren, neue Antriebstechnologien, Smart Production, agiles Arbeiten, aber auch bei der Führungskräfteentwicklung.
Lernformate gibt es bei BMW viele. Die Pandemie habe virtuelles Lernen weiter beschleunigt, stellt Wilhelm fest. Rund vier Fünftel der Trainings finden derzeit digital als virtuelle Classroom-Trainings statt.
Auch wenn sich diese Formate bewähren – und zudem Vorteile bieten, da Kosten für Anreise, Übernachtungen und Schulungszentren entfallen sowie Zeit gespart wird – sind Präsenztrainings dennoch in manchen Feldern notwendig, beispielsweise im Produktionsumfeld, um den Mitarbeitern in Werkstätten oder Produktionsschulungszentren technische Fertigkeiten zu vermitteln.
Neben den virtuellen Formaten bietet das Unternehmen auch kleinere Lerneinheiten an, sogenannte Learning-Nuggets, die etwa ein bis zwei Stunden umfassen. Diese nutzen die Beschäftigten immer dann, wenn sie ein Problem kurzfristig lösen müssen, beispielsweise wenn ein Softwareentwickler eine Frage zu einem Teil der Software hat.
„Auch persönliches Coaching brauchen wir weiterhin“, ergänzt Wilhelm. Dies könne die Mitarbeiter- und Führungskräfteentwicklung unterstützen, gerade bei der hohen Geschwindigkeit der Transformation.
Großen Wert legt der Konzern auch auf soziales Lernen. So lernen Mitarbeiter von Mitarbeitern. „Dafür bieten wir unterschiedliche Dialogplattformen an wie das Pitstop-Leadership. Hier informieren und diskutieren Führungskräfte zu bereichsübergreifenden Themen“, so Wilhelm.
Talent-Factory für Auszubildende
Nicht zu vergessen ist auch die Talent-Factory der Auszubildenden des ersten Lehrjahres. Hier können Fachabteilungen ein Produkt – beispielsweise die Entwicklung einer App – beauftragen. Die Auszubildenden vernetzen sich im Team und versuchen eigenverantwortlich, die Aufgabe zu lösen. „Sie lernen dabei, agil in Sprints zu arbeiten, sich Teilziele zu geben und die Kunden einzubinden“, schwärmt Wilhelm.
Mitarbeiter mitnehmen
Bei allen Veränderungen, die das Unternehmen derzeit umtreibt, ist sich Wilhelm bewusst, dass die Transformation nur gemeinsam mit den Menschen im Konzern gelingt: „Wir verändern die BMW Group mit unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, nicht gegen sie.“ So habe der Konzern keinen Abbau von Personal in Betracht gezogen, sondern alle Mitarbeiter mit auf die Transformationsreise genommen: „Wir geben jedem die Chance, sich weiterzuentwickeln. Gleichzeitig erwarten wir, dass sich die Mitarbeiter eigenständig weiterentwickeln.“
Wilhelm selbst freut sich, dass sie auch ihr Wissen weitergeben darf. Sie selbst hat in ihrer Karriere in vielen Fachbereichen und Abteilungen bei der BMW Group gearbeitet und sagt selbst, dass sie dabei vieles dazugelernt habe. „Lebenslanges Lernen und Wissenstransfer sind Teil des Unternehmens und seiner Kultur.“ Somit gehört es dazu, sein Wissen weiterzugeben, denn schließlich können nur durch die Weitergabe und Weiterentwicklung von Wissen das Unternehmen zukunftsfähig bleiben und Arbeitsplätze gesichert werden.
Kirstin Gründel