Corporate Psychopaths im Büro: allgegenwärtig, maskiert – und toxisch
Sie sind Meister des ersten Eindrucks. Sie schaffen es, eine besonders geistreiche Aura zu erzeugen und genau das zu repräsentieren, was wir so oft bewundern: Coolness, Charme, Humor und Wortgewandtheit. Sie sind attraktiv, gut gekleidet und hegen leichte Starallüren. Orientiert an Leistung, Macht und Geld, genießen sie Bewunderung und Rampenlicht. Sie polarisieren. In hohen Tönen philosophieren sie über die Relevanz von Kultur, Führung und Stolz und klingen dabei glaubhaft wie aus dem Lehrbuch.
Doch in alltäglichen Situationen wird der Mangel an echter Empathie, Einfühlungsvermögen, Kritikfähigkeit und Menschlichkeit spürbar. Hinter der aufgesetzten Maske steckt dabei eine innere, tiefsitzende Verunsicherung, die nicht selten mit Abwertung anderer kompensiert wird. Während sie ihre Mitmenschen in einem Augenblick mit Komplimenten überschütten, reagieren sie auf Kritik plötzlich allergisch, überheblich und beharren auf ihre Meinung.
Die dunkle Triade
Seit über zwei Dekaden beschäftigt sich die Forschung mit der bösen Seite des Menschen: der dunklen Triade. Sie umfasst dabei Narzissmus (Selbstgefälligkeit und Anspruchsdenken), Machiavellismus (Manipulation und Ausbeutung) und Psychopathie (Gefühllosigkeit und Rücksichtslosigkeit).
Dieses Böse wurde originär an Kriminellen untersucht – und auch wir erwarten die dunkle Triade intuitiv im Gefängnis, in Horrorfilmen und Thrillern. Wir stellen uns psychisch kranke Menschen vor, die körperliche oder seelische Verbrechen an anderen begehen.
Die Realität zeigt jedoch, dass uns das Böse auf viel subtilere Art und Weise täglich im Gewand des scheinbar Normalen begegnet – und nicht selten angesehene Managerpositionen großer Konzerne bekleidet. Eine Vielzahl wissenschaftlicher Forschung legt dar, dass die dunkle Triade mit Hierarchiestufe, Berufserfolg und Gehalt korreliert. In den Reihen der Topmanager zählen rund 21 Prozent zur dunklen Triade. Im Gefängnis sind es mit rund 25 Prozent nur unerheblich mehr.
Gift für Bilanz und Kultur
Der wirtschaftliche Schaden der dunklen Triade ist gut erforscht – und erschreckend: Corporate Psychopaths manipulieren Gewinne, installieren ineffektive Kontrollsysteme und werden signifikant öfter des Betrugs angeklagt. Studien im Rahmen der letzten Finanzkrise haben belegt, dass sich Unternehmen mit Führungskräften der dunklen Triade nach der Krise langsamer erholen und durch Machthunger getriebene, aggressive Fehlentscheidungen treffen.
Doch neben den wirtschaftlichen Auswirkungen leidet auch die Unternehmenskultur. Es ist unstrittig, dass die Führungskräfte maßgeblich die Unternehmenskultur beeinflussen. Sie gestalten die akzeptierten Normen und vermitteln durch ihre Entscheidungen, welche Handlungen belohnt und sanktioniert, welche Menschen rekrutiert und gefördert werden. Die Folge: Von Corporate Psychopaths geführte Mitarbeiter zeigen signifikant öfter kontraproduktives Arbeitsverhalten, Mobbing und Sabotage sowie hohe Fluktuations- und Krankheitsquoten – eine Kultur, in der Agilität, Engagement und Leistung unmöglich werden.
Gegenstück: die helle Triade
Nachdem diese Ergebnisse keinen Zweifel über Existenz und Schaden der dunklen Persönlichkeit zulassen, hat sich die Forschung nun der wachstumsorientierten Seite des Menschen zugewandt: der hellen Triad. Dabei geht es nicht um selbsternannte Wohltäter. Vielmehr geht es um jene, die nicht strategisch über ihr Geben nachdenken. Menschen, die nur durch ihre Persönlichkeit Leistungswillen, Engagement und Initiative auslösen: Everyday Saints.
Eine New Yorker Forschungsgruppe rund um Scott Kaufman beschäftigt sich seit Jahren mit der hellen Triade und ihrer Messbarkeit. Sie setzt sich aus drei Faktoren zusammen: Kantianismus (Behandlung des Menschen als Selbstzweck, nicht als Mittel), Humanismus (Wertschätzung der Würde jedes Einzelnen) und dem Glauben an das Gute im Menschen.
Everyday Saints: messbare Wirkung
Die Erforschung des Guten zeigt den Zusammenhang zwischen der hellen Triade und Charakterzügen wie Neugier, Teamarbeit, Selbstwirksamkeit, Autonomie, Engagement, emotionaler Intelligenz oder Freude am Lernen – Eigenschaften, die für Unternehmen in volatilen Zeiten entscheidend sind.
Eine Reihe von Studien bestätigt dabei nicht nur, dass sich Menschen mit einer hellen Persönlichkeit durch eine höhere Zufriedenheit mit ihrem Privatund Berufsleben, bessere Gesundheit und gestärkten Selbstwert auszeichnen.
Zudem haben sie einen positiven Einfluss auf die Unternehmensleistung. Organisationen profitieren von Everyday Saints – und das in wirtschaftlicher und menschlicher Hinsicht: Forschungsergebnisse belegen, dass sie in der Rolle als Führungskräfte eine produktivere Arbeitsatmosphäre schaffen, die Teameffektivität verdoppeln sowie eigenverantwortlichere, gesündere und zufriedenere Mitarbeiter haben.
Fazit
Corporate Psychopath oder Everyday Saint? – Die Frage, wo sich eine Führungskraft selbst einordnet, ist redundant. Denn obwohl das Böse eine widersprüchlich-faszinierende Anziehungskraft auf uns ausübt – die Angstlust beim Lesen eines Thrillers oder der Nervenkitzel beim Horrorfilm – haben Menschen den inhärenten Wunsch, sich selbst als gut anzusehen.
Tatsächlich gibt es Hoffnung: Persönlichkeit ist veränderbar – und in Zeiten von New Work entwickeln sich „helle“ Aspekte wie Neugier, Initiative und emotionale Intelligenz nicht nur zu wichtigen, sondern auch zu strategischen Erfolgsfaktoren eines nachhaltig zukunftsfähigen Unternehmens.