Es ist noch gar nicht so lange her, als es in vielen Branchen und Unternehmen durchaus üblich war, zentrale Entscheidungen über die Neubesetzung von HR-Führungspositionen auf dem Golfplatz oder im Gespräch auf der Herrentoilette zu treffen. Anderswo genügte es für Personalmanager mit Ambitionen, das eigene Buddy-Netzwerk oder über Jahre bestehende Seilschaften zu aktivieren, um den Zuschlag zu erhalten oder mindestens in die engere Auswahl zu kommen.
Beides widersprach nicht nur einem professionellen und objektiven Auswahlprozess, sondern bedeutete, dass der Entscheidungsprozess letzten Endes von vorrangig männlich dominierten Inner Circles bestimmt wurde – oft genug mit entsprechender Präferenz für das eigene Geschlecht bei der Kandidatenfrage.
Digitalisierung objektiviert Kandidatenauswahl
Viele HR-Manager verlassen sich auch heute noch auf derartige Strukturen. Was sie dabei oft vergessen, ist, wie sehr sich der Wettbewerbsdruck für Toppositionen im HR-Segment verstärkt hat und sich weiter verstärken wird. Wie in vielen Bereichen hat zudem die rasante Digitalisierung der vergangenen Jahre bei der Kandidatenauswahl einen fundamentalen Wandel angestoßen, der zunehmend spürbar wird. Ein zentrales Ergebnis: Im Zusammenspiel von digitalen Prozessen und hochwertiger Diagnostik, wie sie in den vergangenen Jahren durch das professionelle Engagement und die Expertise zahlreicher Personalabteilungen und Personalberatungen entstanden ist, können Personalentscheidungen heute sowohl wesentlich objektiver als auch transparenter gefällt werden.
Entsprechende Tools und Softwarelösungen lassen sich nicht täuschen von Äußerlichkeiten, rhetorischen Ablenkungsmanövern, großen Namen im Lebenslauf oder Empfehlungen. Stattdessen prüfen sie konsequent und neutral die relevanten Indikatoren der Kandidaten und vergleichen mit anderen Profilen. Gleichzeitig sichern sie einen einheitlichen Prozess und gewährleisten, dass dieser stets vollständig absolviert wird.
Darüber hinaus kommen zunehmend Talent-Recommender-Systeme zum Einsatz und machen einen Unterschied, den es zuvor nicht gab. Wo heute künstliche Intelligenz (KI) vollautomatisch – in kürzester Zeit und frei von Vorurteilen und Geschlechterklischees – Businessnetzwerke und Karriereportale wie Xing und LinkedIn durchsucht, können ganz andere Namen und Profile auf der Empfehlungsliste landen. Ein weiterer Wirkfaktor von KI ist die Automatisierung standardmäßiger HR-Prozesse, etwa das Erstscreening von Bewerbungen. Sie entlastet Personalabteilungen von zeitraubenden Routineaufgaben.
HR-Abteilungen der alten Schule sind Geschichte
Die Covid-19-Krise gießt zusätzlich Öl ins Feuer: Aufgrund der weitgehenden Verlagerung des Berufslebens ins Homeoffice und dem damit verbundenen Wegfall gewohnter informeller Begegnungsmöglichkeiten haben viele inoffizielle Karrierehebel wie Seilschaften und Buddy-Netzwerke an Wirkung verloren.
Diese Realität wirkt aber nur als Verstärker einer grundlegenden Entwicklung, die es Kandidaten „der alten Schule“ im Personalbereich zunehmend schwerer macht in Toppositionen zu kommen. HR muss gerade einen Wandel meistern, der weit über die Einführung digitaler Tools hinausgeht, so essentiell dies auch ist. Derzeit müssen nicht selten ganze Personalabteilungen technisch wie mental von Grund auf umgebaut werden, um für das jeweilige Unternehmen auch weiterhin der nötige aktive Gestalter in einer Arbeitswelt im Umbruch zu sein.
So gilt es etwa im Spannungsfeld von Covid-19, verstärktem Remote Work, Arbeitsmärkten, die in Spezialbereichen leergefegt sind, sowie einem spürbaren Wertewandel bei Bewerbern, eine zeitgemäße Führungs- und Arbeitskultur zu etablieren. Zu meistern ist auch die in vielen Branchen und Unternehmen anstehende oder bereits laufende Umstellung auf agiles Arbeiten. Ein Wechsel, der nicht nur strukturell massive Veränderungen erfordert, sondern Mitarbeiter auch mental herausfordert. Abteilungsintern heißt es, den eingangs erwähnten, dafür erforderlichen Umbau als Führungskraft sowohl fachlich als auch atmosphärisch erfolgreich zu steuern und zu begleiten.
Das Dave-Ulrich-Modell führte in den Neunzigerjahren zu einem massiven Umschwung und Umdenken in Personalabteilungen. Einen ähnlich intensiven Wandel erleben wir derzeit. Heute ist die Botschaft: CEO und CHRO müssen gemeinsam Veränderungsprozesse vorantreiben und sind somit Treiber für Digitalisierung und kulturellen Wandel. Letztendlich kann eine stark besetzte CHRO-Funktion das Aushängeschild eines Unternehmens sein.
Heutige Personalverantwortliche brauchen Leadership-Qualitäten
Mit diesem Wandel ist ein neuer Typus von HR-Verantwortlichen gefragt. Gefordert sind insbesondere moderne Leadership-Qualitäten wie Kommunikationsfähigkeit, um in den dafür erforderlichen intensiven Austausch mit Teams, Mitarbeitern oder Stakeholdern zu gehen. Ebenso wichtig ist Empathie. Auch sie ist eine unerlässliche Kernkompetenz: Um Entscheidungen zu treffen, die auch nachhaltig wirken, ist es essentiell, im Vorfeld die Befindlichkeiten von Teams nachvollziehen und nachfühlen zu können, statt rein aus der eigenen Perspektive heraus Dinge vorantreiben zu wollen.
Eine weitere Kompetenz, die mehr denn je zählt, ist Flexibilität, besonders in einer Welt, in der permanente Veränderung das neue Normal ist. Das kann zum Beispiel auch ganz profan bedeuten, eine eigene, ehemals großartige Idee ohne Aufheben zu verabschieden und durch eine noch bessere zu ersetzen.
Studien von Rochus Mummert belegen, dass die hier genannten Schlüsselkompetenzen im Führungsverhalten nachweislich häufiger bei Frauen zu beobachten sind. Dies erklärt die Tendenz, warum beim Besetzen von leitenden Personalfunktionen mehr und mehr weibliche Bewerber das Rennen machen. Umgekehrt gibt es männlichen Personalspezialisten die Chance, ihre Führungsrolle zu hinterfragen und bei Bedarf in die eigene Persönlichkeitsentwicklung zu investieren.