Wenn es um die Zukunft der Arbeit geht, sind die Meinungen geteilt. Auf der einen Seite stehen Befürworter des dauerhaften Home-Office: Arbeitgeber, die ihrer Belegschaft freistellen, von welchem Ort aus sie arbeiten. Dazu zählen etwa Twitter, SAP und Microsoft. In diesen Unternehmen können Mitarbeiter permanent im Home-Office arbeiten.
Auf der anderen Seite befinden sich Home-Office-Skeptiker. Damit sind nicht Unternehmen gemeint, die Home-Office ablehnen, sondern die einen wohldosierten Umgang mit Heimarbeit anstreben. Dazu zählt etwa der Tech-Gigant Apple. Laut dem Magazin The Verge soll Apple-Managerin Deirdre O’Brien im firmeneigenen Intranet an die Belegschaft appelliert haben, dass „die persönliche Zusammenarbeit essentiell für unsere Kultur und unsere Zukunft ist.“ Die Produkte und Dienstleistungen, so die oberste HR-Verantwortliche des US-Konzerns, seien alle das Ergebnis von persönlicher Zusammenarbeit.
Der deutsche Mittelstand tendiert eindeutig zu dem zweiten Modell, also der Vereinbarkeit von Büro und Home-Office. Laut dem Magazin Markt und Mittelstand sind es vor allem Unternehmen mit weniger als 250 Mitarbeitern, die Home-Office-Arbeit kritisch sehen – also das Herz des deutschen Mittelstands.
Doch im Gegensatz zum medialen Mainstream, in dem überwiegend die lockeren Konzern- und Start-up-Kulturen abgebildet und propagiert werden, haben kleine und mittlere Unternehmen (KMUs) guten Grund zur Home-Office-Skepsis. Der Mittelstand sperrt sich damit weder vor Neuerungen, noch will er den unvermeidlichen Fortschritt aufhalten. Vielmehr verteidigt er mit dieser Haltung sein Erfolgsmodell der vergangenen Jahrzehnte.
Der Mensch im Mittelpunkt
Der Mittelstand, so heißt es im Untertitel des Buchs „Mittelstand ist eine Haltung“, sei „der stille Treiber der deutschen Wirtschaft“. Die Autoren arbeiten heraus, was den Mittelstand so erfolgreich macht und worin er sich von Konzernen unterscheidet. Sie stellen verschiedene Haltungen zwischen den beiden Welten gegenüber. So gilt laut Autoren für die Welt des Mittelstands: „Der menschliche Umgang miteinander und das Gestalten der Betriebsgemeinschaft sind wichtig.“ Auf Seite der Konzerne heißt es: „Menschen sind Figuren, man verfügt über sie.“ Eine weitere Haltung des Mittelstands sei: „Der Mensch steht im Vordergrund.“ Bei Konzernen heißt es: „Es ist eine starke Orientierung an finanziellen Größen vorhanden.“
Das Buch ist erschienen, als Home-Office noch ein Randthema war. Was aber heute noch aktuell ist, ist der menschliche Faktor im Mittelstand. Es sind die Menschen, die den Mittelstand ausmachen, mehr als die Produkte. Menschen haben immer schon Höchstleistungen erzielt, wenn sie zusammenarbeiteten. Erfolgsgeschichten der Wirtschaft werden zwar gern als Storys genialer Individualisten erzählt, doch meist handelt es sich um enge Kooperation: Steve Jobs hatte Steve Wozniak, Bill Gates Paul Allen, und Hasso Plattner und Dietmar Hopp hatten drei weitere Mitstreiter, mit denen sie SAP auf den Weg brachten. Sie alle waren von weiteren Köpfen umgeben. – Kein Wunder also, dass Unternehmen ihre Mitarbeiter ins Gemeinschaftsbüro zurückbeordern, auch wenn das ein konservativer Ansatz ist.
Konservativ ist das, was immer gilt
Das Wort „konservativ“ bedeutet bewahren. Das meint nicht – wie oft missverstanden – an etwas festzuhalten, das längst überholt ist. Vielmehr ist es, so hat es der Schriftsteller Antoine de Rivarol gesagt, „nicht ein Hängen an dem, was gestern war, sondern ein Leben aus dem, was immer gilt.“
Auf den Mittelstand übertragen heißt das: Die Dinge, die schon vor Corona gut funktioniert haben, sollten weiterhin praktiziert werden. Vor der Pandemie kam es vor allem auf das menschliche Miteinander an. Nicht nur kennen sich in KMUs die meisten Kollegen persönlich, sondern die Monate während des Lockdowns haben auch offenbart, was als Warnsignal für die zukünftigen Arbeitsorte gelten muss: Die Vereinzelung in den privaten Arbeitszimmern, die Zoom-Fatigue sowie verschiedene Ablenkungsfaktoren wie handwerkende Nachbarn, rasenmähende Stadtbedienstete oder klingelnde Paketboten machen ein dauerhaftes Arbeiten in den eigenen vier Wänden unattraktiv. Umfragen ergeben auch, dass durch die vermehrte Home-Office-Zeit während Corona gesundheitliche Probleme wie Burn-out und Depression drastisch zugenommen haben.
Zahlreiche Studien und Umfragen zeigen, dass die anfängliche Euphorie vieler Arbeitnehmer über das Home-Office inzwischen oft in Skepsis umgeschlagen ist. Laut einer Umfrage des Digitalverbands Bitkom wünschen sich 85 Prozent wieder einen festen Büroarbeitsplatz. Arbeitgeber sollten hier ansetzen und ihren Mitarbeitern ein attraktives Angebot machen, nämlich tageweise weiter im Home-Office arbeiten zu können. Gleichzeitig sollten sie die Vorteile des Büros aufzeigen: schalldichte Rückzugsorte, kostenlose Verpflegung, moderne Arbeitsmittel und Kollegen, mit denen sie über Arbeit und andere Dinge reden können.
Die Zukunft des Mittelstands ist deshalb hybrid, eine Aufteilung der Arbeitswoche in Büro- und Heimarbeit unerlässlich. Dennoch dürfte der Fokus auf dem Gemeinschaftsbüro liegen, weil sich dort die gemeinsame Kreativität und Produktivität am besten entfalten.
Oliver Jeges, Senior Manager Marketing & Communication, HRworks