Wir haben uns langsam daran gewöhnt, mit Computern zu telefonieren oder zu chatten, und es fällt kaum noch auf, wenn unsere Gesprächspartner keine realen Menschen sind. Was wir als Kunde am Telefon oder im Internet erleben, hat sich auch bei Bewerbungen etabliert: Ein Chatbot ist sachkundig, zuvorkommend und freundlich und kann Fragen zu einer ausgeschriebenen Stelle 24/7 beantworten. Eine solche Routineaufgabe kann leicht von einer digitalisierten Instanz adaptiert werden. Das schafft Freiräume für Personaler, um sich auf wichtigere HR-Aufgaben konzentrieren zu können.
Digitalisierung hält Einzug in das HRM
Bewerbungs-Apps und Bewerbermanagementsysteme (Applicant-Tracking) beschleunigen und verbessern die Prozesse in Personalabteilungen. Durch „CV-Parsing“ können sie Onlinedaten aus Bewerbungen automatisch in das eigene System integrieren. Die Nutzung von sozialen Medien und mobile Anwendungen haben sich im Recruiting etabliert. KI kann dabei helfen, die passenden Kanäle sowie „latent suchende Kandidaten“ in den sozialen Netzwerken zu identifizieren. Digitale „Job-Nuggets“ liefern deutlich mehr Informationen als herkömmliche Stellenanzeigen.
Vieles, was früher auf Papier erledigt wurde, ist heute digital: von der Personalakte bis hin zur Mitarbeiterbefragung. Auch wenn viele HR-Anwendungen noch On-Premise laufen (Server vor Ort), nehmen Cloudlösungen zu und damit auch datenschutzrechtliche Herausforderungen.
KI beansprucht, viel mehr zu können als die reine Digitalisierung. Zum Beispiel, wenn eine Software datenbasiert Millionen von Stellenanzeigen analysiert und herauszufinden versucht, welche Art der Stellenausschreibung die größte Response erzielt. Ein automatisiertes, vorurteilsfreies Matching von Bewerbern und Stellen ist die Vision des Smart HRM. Beim Chatbot, der als digitaler Assistent in das Prescreening einsteigt, und beim digitalen Matching erhält der Computer eine gewisse Entscheidungsgewalt.
KI analysiert im Data-driven Recruiting Bewerbungsunterlagen und schlägt nach definierten Kriterien Bewerber vor. Bauchentscheidungen der Menschen sollen durch Kausalentscheidungen der Technik ersetzt werden. Welche Anwendung Unternehmen auch nutzen, ihr zentrales Ziel ist, Personalentscheidungen stärker daten- und evidenzbasiert zu treffen (Advanced People-Analytics).
Big Data wird nicht nur im Recruiting, sondern auch bei anderen personalwirtschaftlichen Fragestellungen angewendet. KI kann das Personalcontrolling untermauern, indem es beispielsweise die „Cost per Hire“ berechnet. Man will auch grundlegende Managemententscheidungen sowohl prädikativ als auch präskriptiv treffen: Wie wird und soll die Arbeitswelt der Zukunft sein?
Machine-Learning-Anwendungen haben sich in der Sprach- und Gesichtserkennung und bei Empfehlungssystemen im Onlinehandel bereits weit entwickelt. Auch wenn Chatbots derzeit noch eher digitale Reiz-Reaktions-Systeme darstellen, ist auch hier der Weg zu lernenden Interaktionssystemen, die Emotionen erkennen können, nicht mehr so weit.
Natürlich bleibt auch die Personalentwicklung von der derzeitigen Entwicklungsdynamik nicht unberührt. Lernen wird digitaler, situativer, arbeitsplatznäher und geschieht on Demand sowie mobil. Micro-Learning und Learning-Nuggets, also kleine spezifische Lernhappen, die auch am Smartphone bearbeitet werden können, werden in Zukunft dominieren. Lernprozesse werden informeller, agiler und kollaborativer stattfinden, in Form von Working out loud, Open-Spaces, Barcamps und Hackathons. Personaler designen digitale Lernplattformen, und Führungskräfte werden zum Lernprozessbegleiter. Sprachgesteuerte KI wird zum Lernassistenten, der individuelle Entwicklungsschritte vorschlägt. Auch Virtual und Augmented Reality werden die Personalentwicklung erweitern und authentisches Lernen in einer künstlichen Welt ermöglichen. Die Handlungsfelder eines durch digitale Lösungen und durch KI angereicherten HRM scheinen unerschöpflich.
HR mit Mammutaufgaben
Das Personalmanagement von morgen wird nicht nur digitale und KI-Anwendungen im eigenen Bereich verstehen müssen, sondern es wird auch die technologischen Veränderungen im Unternehmen, von der Digitalisierung der Geschäftsprozesse bis hin zum Einsatz humanoider Roboter, personalpolitisch begleiten müssen. Auch die Verschiebungen des menschlichen Arbeitseinsatzes, Kündigungs- und Qualifizierungswellen bei herkömmlichen Tätigkeiten sowie Einstellungsbedarf bei digitalisierten Arbeitsrollen sind Mammutaufgaben für HR.
Dienstleistungsprozesse werden zunehmend auf die Beschäftigten verlagert: Diese können selbst anhand von Self-Service-Apps mobil ihre personenbezogenen Daten pflegen, Arbeitszeiten erfassen und Urlaub beantragen. Die Blockchaintechnologie wird vermutlich auch bei den digitalen Workflows eine zunehmende Rolle spielen, wenn es um sensible Daten geht. Über vielen dieser Anwendungen schwebt zugleich das Damoklesschwert der Datenschutz-Grundverordnung, so dass die Qualifikation der Personalmanager auch datenschutzrechtlich untermauert werden muss.
Hinzu kommen Veränderungen einer diversifizierten Arbeitswelt, die pandemiebedingt oder durch soziokulturelle Eruptionen über die Unternehmen hereingebrochen sind: hybrides Arbeiten, Work-Life-Blending und Desk-Sharing. Bei alledem sollen Arbeitsprozesse agiler sowie Candidate- und Employee-Experience optimiert werden. Es klingt nach der berühmten Quadratur des Kreises, was die HR-Manager der Zukunft zu leisten haben. Der Änderungsdruck der Berufsrolle im HRM ist enorm.
HR als Prozessmoderator
Personaler werden nicht Experten in IT, Prozessdesign, Datenschutz und agilem Coaching gleichzeitig sein können. Aber sie werden sich in allen Bereichen mehr Kompetenz zulegen müssen, um vom operativen Macher zum Prozessmoderator zu werden. Sie dürfen bei der Digitalisierung nicht die Prozesse und auch nicht die Menschen aus den Augen verlieren. Sie müssen die richtigen Fragen stellen und teilweise auch beantworten können, zum Beispiel: Ist die Datenmenge vorhanden, um verlässliche Algorithmen zu erzeugen? Wie können Fehler beim Matching vermieden werden? Wo setzen wir ethische Grenzen? Darf ein Unternehmen beispielsweise die Social-Media-Beiträge seiner Beschäftigten auswerten?
Eine wichtige Funktion der Personalmanager wird also sein, Lösungsalternativen für das Unternehmen abzuwägen. Personaler müssen den Spagat schaffen, effiziente Methoden und Prozesse zu erhalten und gleichzeitig neue, flexible Abläufe und Technologien zu kreieren.
Auch wie Smart-HR-Vorhaben im Unternehmen priorisiert werden können, wird eine Schlüsselfrage der kommenden Jahre sein. Denn nur die großen Player haben breitgestreute Skaleneffekte durch KI. Kleinere Unternehmen werden sich eher die richtigen Rosinen herauspicken müssen.
Prof. Dr. Christian Ernst, Professor für Personalmanagement und Berufsbildung, Technische Hochschule Köln