Betriebsänderungen führen häufig zu Unstimmigkeiten zwischen Arbeitgebern und Betriebsräten. Zwei aktuelle Gerichtsentscheidungen geben Arbeitgebern nun neue Gestaltungs- und Beschleunigungsmöglichkeiten.
Größer können die Interessengegensätze zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat nicht sein als bei Betriebsänderungen. Während Arbeitgeber die rasche Umsetzung ihrer Konzepte anstreben, versuchen Betriebsräte, die Umsetzung zu verzögern.
Zwei aktuelle Entscheidungen des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 17.06.2021 – 19 TaBV 725/21 und Beschluss vom 09.07.2021 – 7 TaBV 791/21) geben Arbeitgebern nun neue Gestaltungs- und Beschleunigungsmöglichkeiten bei der Umsetzung von Betriebsänderungen.
- Ausgangsfall
Manche Betriebsräte warten derzeit auf arbeitgeberseitige Konzepte zur dauerhaften Etablierung von Regelungen für mobiles Arbeiten – zum Beispiel Home-Office oder Clean-Desk-Arbeitsumgebung. Das Betriebsrätestärkungsgesetz hat den Betriebsräten einen neuen entsprechenden Mitbestimmungstatbestand beschert (§ 87 Abs. 1 Nr. 14 BetrVG). Daneben haben Arbeitgeber in der Regel auch unter dem Gesichtspunkt der wesentlichen Änderung der Arbeitsorganisation Interessen- und gegebenenfalls Sozialplanverhandlungen mit den Betriebsräten zu führen (§ 111 Satz 3 Nr. 4 1. Alt, § 112).
Kommt keine Einigung zustande, hat die Einigungsstelle hinsichtlich der Ausgestaltung des Mitbestimmungsrechts (§ 87 Abs. 1 Nr. 14 BetrVG) sowie eines erforderlichen Interessenausgleichs und Sozialplans zu versuchen, Meinungsverschiedenheiten beizulegen und bezogen auf die Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 14 BetrVG und einen erforderlichen Sozialplan die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat zu ersetzen. Hinsichtlich eines erforderlichen Interessenausgleichs hat zumindest in der Einigungsstelle der Versuch einer Einigung zu erfolgen.
- Nur bedingt beschleunigend: das Einigungsstelleneinsetzungsverfahren
Zur Vermeidung eines Stillstands sieht § 100 ArbGG ein zügiges Verfahren vor, um eine Einigungsstelle zur Beilegung von Meinungsverschiedenheiten zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat einzurichten. So soll die Entscheidung des Arbeitsgerichts bestenfalls nach zwei Wochen, spätestens vier Wochen nach Eingang des Antrags zugestellt sein. Einlassungs- und Ladungsfristen sind auf 48 Stunden verkürzt. Die Beschwerde zum Landesarbeitsgericht ist innerhalb einer Frist von zwei Wochen einzulegen und zu begründen. Der Wortlaut von § 100 ArbGG legt nahe, dass eine gerichtliche Entscheidung über die Einsetzung und Besetzung der Einigungsstelle binnen fünf bis sieben Wochen erfolgen soll.
Doch die Praxis sieht anders aus. Arbeits- und Landesarbeitsgerichte lassen sich durch die Fristen nicht hetzen, Gerichtstermine werden außerhalb der maßgeblichen Fristen anberaumt, Betriebsräte verzögern das Verfahren durch Terminverlegungsanträge, und auch die Zweiwochenfrist zur Einlegung und Begründung der Beschwerde kann einmalig verlängert werden. Verfahrensdauern von mehr als drei Monaten sind nicht unüblich.
- Bisherige Gestaltungs- und Beschleunigungsmöglichkeit
Wollten Arbeitgeber und Betriebsräte Verhandlungen insbesondere über Mitbestimmungstatbestände verkürzen, wurde und wird immer wieder der Weg über die Erklärung des Scheiterns der Freiverhandlungen gewählt. Die Betriebsparteien haben über streitige Fragen im ernsten Willen zur Einigung zu verhandeln (§ 74 Abs. 1 Satz 2 BetrVG) und Vorschläge für die Beilegung der Meinungsverschiedenheiten zu machen. Seit langem ist es im Bereich der zwingenden Mitbestimmung von den Arbeitsgerichten anerkannt, dass diese Verhandlungsverpflichtung nicht verlangt, dass in mehreren Verhandlungsrunden Positionen zu Betriebsvereinbarungen ausgetauscht werden und hierüber verhandelt wird. Entscheidend sei vielmehr, ob eine Betriebspartei eine Einigungsmöglichkeit noch für realistisch erachtet, wobei die Betriebsparteien weiten Beurteilungsspielraum haben.
Gerade bei der zwingenden Mitbestimmung (87 Abs. 1 BetrVG) kommt es daher immer wieder vor und wird von der Rechtsprechung akzeptiert, dass eine Betriebspartei der anderen ein Informationsschreiben und einen Entwurf der Betriebsvereinbarung übersendet und, falls dieser Betriebsvereinbarungsentwurf dann nicht unterzeichnet zurückgesandt wird, die Freiverhandlungen für gescheitert erklärt werden.
Einen intensiveren Dialog zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat forderte die Rechtsprechung bisher bei der Beteiligung des Betriebsrats bei Betriebsänderungen (§ 111, 112 BetrVG). Hier verlangt sie, dass die Parteien zumindest ansatzweise Vorstellungen über die geplante Betriebsänderung und einen gegebenenfalls erforderlichen Sozialplan ausgetauscht haben, bevor das Scheitern der Verhandlungen erklärt und das Verfahren nach § 100 ArbGG eingeleitet werden kann. Sofern diese Voraussetzungen vorliegen, können nach Scheitern der Verhandlungen geführte Gespräche das Scheitern nicht mehr beseitigen. Weitere Verhandlungen zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber sind auch in diesem Fall viel mehr als eine Selbstverständlichkeit.
- Neue Gestaltungs- und Beschleunigungsmöglichkeit
In den Entscheidungen des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg ließ sich vor Einleitung des Verfahrens nach § 100 ArbGG kein Scheitern der Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen im bisherigen Sinne feststellen. Zwar unterrichtete der Arbeitgeber die Betriebsräte über die geplanten Restrukturierungen, eine ablehnende Stellungnahme des Betriebsrats lag bis zur Einleitung des Verfahrens nach § 100 ArbGG aber nicht vor; diese erfolgte erst nach Einleitung des Verfahrens.
Das Fehlen des Scheiterns der Verhandlungen vor Einleitung des Verfahrens nach § 100 ArbGG ist aber nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg unschädlich, da auch in diesem Verfahren wie in diversen anderen Verfahrensarten auf die Sach- und Rechtslage in der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen sei; und zu diesem Zeitpunkt sei offensichtlich keine Einigung zwischen den Betriebsparteien erfolgt.
- Ausblick
Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen können daher nun schneller als bisher geführt werden. Ob der Verpflichtung (§ 111 BetrVG), den Betriebsrat rechtzeitig und umfassend zu unterrichten und die geplante Betriebsänderung mit diesem zu beraten, wird man hier nicht das gleiche Tempo gehen können wie bei der zwingenden Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 BetrVG.
Eine gute Vorbereitung der Unterrichtung und Beratung im Sinne von § 111 BetrVG, zum Beispiel durch ausführliches Unterrichtungsschreiben, sofortige Übersendung eines Interessenausgleichs und Fristensetzungen, schafft aber die Voraussetzungen dafür, die Freiverhandlungen im Lichte der beiden Entscheidungen des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg erheblich abzukürzen.
Dr. Dietmar Müller-Boruttau, Rechts- und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Beiten Burkhardt Rechtsanwaltsgesellschaft mbH