Das Arbeiten von überall, Workation, ist ein Trend, von dem immer mehr Talente profitieren möchten. Die zunehmende Digitalisierung ermöglicht es, dass zumindest Büromitarbeiter Auszeiten nehmen und weit weg vom Büro- oder Homeofficeschreibtisch arbeiten und somit ihre Arbeit (work) mit Freizeit (vacation) verbinden.
Immer mehr Unternehmen bieten die Auszeiten, die sogenannte Workation, an, wenn auch auf ganz unterschiedliche Weise. Eines von ihnen ist das Softwareunternehmen doubleSlash aus Friedrichshafen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können hier noch bis zum Frühjahr 2023 – bis dahin läuft das Pilotprojekt unter dem Namen „WILA – When I look away from my screen“ – eine einwöchige Auszeit nehmen. Sie können allein, mit Freunden oder Familie in Norditalien, in Sölden in Tirol oder in London arbeiten und gleichzeitig Urlaubsfeeling genießen.
Etwa die Hälfte der rund 260 Mitarbeiter des Unternehmens vom Bodensee nimmt an dem Pilotprojekt teil. „Jeder konnte sich dafür bewerben. Die Vergabe erfolgte transparent und über ein Fair-Share-Modell“, erklärt Leonie Hlawatsch, Leiterin des Personalbereichs. Bei der Vergabe der Workation-Wochen hätten verschiedene Faktoren eine Rolle gespielt, unter anderem, wie lange ein Mitarbeiter bereits fest im Unternehmen arbeitet, welchen Aufenthaltsort er sich wünscht, aber auch organisatorische Elemente, zum Beispiel, ob Arbeitnehmer durch Kinder an Ferienzeiten gebunden sind.
Mitarbeiter können Auszeit individuell gestalten
Den Aufenthalt am Urlaubsort können die Arbeitnehmer frei gestalten: „Wir haben keine strengen Vorgaben, was die Verteilung von Arbeitszeit und Freizeit angeht. In unserer Unternehmenskultur ist verankert, dass wir eher Regeln vermeiden und stattdessen auf Vertrauen setzen.“ So nähmen sich manche Mitarbeiter ein oder zwei Tage in der Workation-Woche komplett frei, andere dagegen arbeiteten vormittags und genössen die Nachmittage ohne Arbeit. „Das Ganze soll eine Ergänzung zum Urlaub sein und nicht den Erholungsurlaub ersetzen“, betont Hlawatsch.
Insgesamt zieht das Team um die HR-Expertin eine positive Bilanz des Projekts: „Das Feedback der Teilnehmerinnen und Teilnehmer ist sehr gut. Sie freuen sich, dass sie sich neben dem normalen Urlaub einen Tapetenwechsel gönnen können. Auch die Familien und Freunde nehmen es positiv auf.“ Allerdings gibt Hlawatsch zu, dass es für manch einen Mitarbeiter eine Herausforderung sei, Freizeit und Arbeit an einem Urlaubsort gut zu gestalten.
Workation transportiert Unternehmenskultur
Das Ziel des Angebots beschreibt Hlawatsch so: „Wir hoffen, dass wir über dieses Benefit authentisch transportieren, wie wir arbeiten, welche Unternehmenskultur wir haben und wie wir die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Blick haben.“ Für die Personalerin ist klar, dass Workation ein wichtiger Bestandteil in der neuen Arbeitswelt sein wird. „Wir müssen schauen, wie wir dieses Modell aus dem Pilot in den Betrieb überführen und wie wir es gestalten können, damit es allen Ansprüchen auf Arbeitnehmer -und Arbeitgeberseite gerecht wird.“
Denn für HR bringt das Workation-Angebot einen hohen Verwaltungsaufwand mit sich. Für Mobile Work im Ausland gelten besondere Regelungen bezüglich Steuer-, Sozialversicherungs- und Arbeitsrecht. Unternehmen müssen vor der Entsendung Fragen zu Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis, insbesondere in Ländern außerhalb der EU, klären. Zudem müssen sie prüfen, ob die deutschen Vorschriften über soziale Sicherheit auch im Ausland für den Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin gelten. Zudem muss die Entsendung als geldwerter Vorteil in der Gehaltsabrechnung aufgeführt werden, gerade wenn das Unternehmen die Kosten für die Unterkunft übernimmt.
Wichtig für Unternehmen ist zudem, dass die Unterkunft einen gut eingerichteten Arbeitsplatz mit stabilem Internet und Telefonverbindung vorhält und Informationssicherheit und Datenschutz gewährleistet sind. Gleichzeitig soll die Unterkunft Freizeit- und Wohnflair haben. „Diese Kombination ist noch schwer zu finden“, berichtet Hlawatsch aus ihrer Erfahrung. Damit die Unternehmensstandards erfüllt sind, können Unternehmen die Recherche- und Organisationsarbeit an einen Dienstleister auslagern.
Workation gehört zur neuen Arbeitswelt
Während doubleSlash bisher nur in einem Pilotprojekt einwöchige teilfinanzierte Auszeiten anbietet, gehen andere Unternehmen schon weiter: Der Touristikkonzern TUI ermöglicht seinen Mitarbeitern, bis zu 30 Arbeitstage Auszeit pro Jahr zu nehmen und das an jedem beliebigen Ort der Welt. Dafür hat der Konzern das „Workwide-Programm“ initiiert.
Der Softwarehersteller SAP überlässt seinen Talenten, wann diese von zu Hause, von unterwegs, im Büro oder aus dem Ausland arbeiten möchten. Der Automobilzulieferer Continental hat bereits seit dem Jahr 2016 flexible und arbeitnehmerfreundliche Regelungen zu Teil- und Gleitzeit; er ermöglicht Sabbaticals und gesteht seinen Mitarbeitern die freie Auswahl des Arbeitsortes zu.
Generell haben Unternehmen erkannt, dass sie Benefits anbieten müssen, um Mitarbeiter zu binden. Dazu gehören flexible Arbeitsmodelle wie Workation. Nur mit einem guten Konzept und den möglichen Freiräumen können Arbeitgeber – gerade vor dem Hintergrund des Arbeitskräftemangels – Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anziehen und halten. Darüber hinaus erhöhen diese Angebote die Zufriedenheit der Beschäftigten, verbessern deren Work-Life-Balance und fördern ihre Kreativität.
Kirstin Gründel