Führungskräfte kommen oft in den Genuss eines Coachings. Ein Coach kommt zu ihnen und arbeitet mit ihnen daran, eine Kompetenz zu erwerben oder zu verbessern oder ein Problem zu lösen. Doch Probleme haben möglicherweise auch die restlichen Mitarbeiter in einem Unternehmen. Svenja Haus ist Diplom-Psychologin und Leiterin der Produkt- und Coaching-Entwicklung von CoachHub, einer Plattform für digitales Coaching. Sie beobachtet, dass nur wenige Unternehmen außer dem Executive Level auch anderen Beschäftigten Coachings gezielt anbieten. Sowohl beim Coaching von Führungskräften als auch von anderen Mitarbeitern fehlt ihr eine Sache: „Die Sitzungen sind häufig nur auf den Input fokussiert, und der Transfer, das Gelernte in den individuellen Berufsalltag zu integrieren, wird häufig vernachlässigt. Nur 5 Prozent der Teilnehmer können das Gelernte wirklich in die Praxis umsetzen.“ Laut Haus sind solche Coachings effektiver, die individuell auf einen Mitarbeiter und sein Problem zugeschnitten sind.
Was ist digitales Coaching?
Als geeignete Maßnahme, die auch im Berufsalltag funktioniert, sieht Svenja Haus digitales Coaching. „Digitales Coaching ist im Grunde genommen, dem klassischen Präsenzcoaching sehr ähnlich, nur der Kommunikationskanal ist digital, und man befindet sich in unterschiedlichen Räumen. Der Vorteil ist, dass Reisezeiten wegfallen und Klienten viel flexibler sind, was Raum und Zeit angeht.“
Zwischen dem Coaching vor Ort und über dem Bildschirm sieht sie keine großen Unterschiede. Obwohl der Coach physisch nicht da ist, würde es nichts an der Bindung zum Coachee, dem Klienten, ändern. „Im Gegenteil: Die Distanz ist für den Coachee eine Art Schutzraum, der ihm hilft, offener über alles zu reden.“
Dennoch gibt es auch Fälle, in denen Präsenzcoaching geeigneter sei. „Wir vertreten hier die klare Haltung, dass der Klient Experte für die Lösung ist. Wenn der Coachee meint, ein Präsenzcoaching ist jetzt das, was er benötigt, dann ist das so. In akuten Fällen, bei denen die Coaching-Anliegen eine entsprechende Tiefe/Schwere/Komplexität haben, eignet sich ein Präsenzcoaching gegebenenfalls mehr, aber auch hier liegt die Entscheidung immer beim Klienten“, rät Haus. Auch vermutet sie, „dass bei digitalem Coaching eine Sitzung oft kürzer dauert als das Präsenzcoaching, , da die Aufmerksamkeitsspanne und Konzentration kürzer sind und somit ein maximal fokussiertes Vorgehen erfordern.“
Eine Form, damit Unternehmen für bestehende und künftige Fachkräfte attraktiver werden, will Svenja Haus mit CoachHub anbieten. Die App bietet digitale Coachings an. Die Konzepte dazu wurden zusammen mit einem wissenschaftlichen Beirat entwickelt, der aus vier Mitgliedern aus der Unternehmenspraxis und Wissenschaft besteht.
Coaching für jeden Mitarbeiter
Die Plattform ist für Führungskräfte und alle Mitarbeiter darunter. Besonders wird sie während zwei Unternehmensprozessen eingesetzt: Zum einen dann, wenn Unternehmen ihr Talentmanagement voranbringen wollen. „Das Coaching ist quasi der fehlende Baustein, wenn die Top-50-Führungskräfte eines Unternehmens entwickelt werden sollen“, erklärt Haus. Zum anderen nutzen Unternehmen die Plattform, die Mitarbeiter auf dem Handy und Desktop nutzen können, bei Transformationsprozessen. „Heutzutage gilt in der Arbeitswelt: Change is the new normal. Viele Mitarbeiter fühlen sich damit überfordert. Coachings können ihnen helfen, damit besser zurechtzukommen.“ Mittlerweile nutzen über 100 Unternehmen das Coachingsystem, unter anderem Generali, Hello Fresh oder die Bosch-Tochter Rexroth.
Coachees können zwischen drei Coaches auswählen. Um Coach zu werden, müssen Kandidaten bestimmte Anforderungen erfüllen, zum Beispiel eine anerkannte Ausbildung und sechs Jahre Coach-erfahrung. „Wenn diese Kriterien erfüllt sind, laden wir sie zum Interview ein. Falls das positiv verläuft, kommt es zu einem Testcoaching, in dem wir sie vor besonders große Herausforderungen stellen. Ganz wichtig ist uns die digitale Affinität.“
Zwischen drei dieser Coaches, die dem Klienten aufgrund eines Algorithmus vorgeschlagen werden, kann er einen auswählen. Nach dieser Auswahl kommt es zu einem Kennlerngespräch und schließlich zu einem maßgeschneiderten Coachingplan für den Klienten. „Falls die Chemie doch mal nicht passen sollte, kann man den Coach jederzeit wechseln. Das kam bisher bei weniger als 1 Prozent vor“, sagt die Psychologin.
Stärken versus Schwächen
Der Fokus des Coachings ist ein ganzheitlicher Framework. Nutzer können zwischen zwei Kategorien wählen: „Grow as a Person“ oder „Inspire as a Leader“.
Das Programm muss mindestens drei Monate laufen, Svenja Haus empfiehlt sechs bis zwölf Monate. Pro Monat hat der Coachee zwei Videositzungen à 45 Minuten. Zusätzlich kann der Klient den Coach auch über eine App per Chatfunktion erreichen. Alle Vorhaben oder nächsten Schritte werden in der App eingetragen.
Der Coachee kann seinen Erfolg messen. Seine Zustände werden skaliert und nach jeder Sitzung neu gemessen. Mit Zustimmung können diese Daten auch anonymisiert an HR oder die Führungskräfte weitergegeben werden. Dabei werden aber keine Coachinginhalte, sondern maximal allgemeines Feedback zum Coach oder zum Prozess weitergegeben. „Zahlen helfen immer und machen die Wirkung von Coachings transparent. Auch für HR ist das sehr wichtig: Es kann bei der oft schwer erkämpften Daseinsberechtigung helfen“, argumentiert Haus.