Ähnlich wie für die Präsidenten geht es auch für Arbeitgeber und Arbeitnehmer in den ersten 100 Tagen darum, sich eine Reputation aufzubauen – Leistungen, Erfolge und eventuelle Niederlagen werden auf beiden Seiten mit den Erwartungen und Versprechen aus Stellenanzeige und Bewerbungsprozess verglichen. Entsprechend sollten Arbeitgeber darauf achten, dass die ausgewählten Tätigkeiten und Verantwortungen, die sie im Rahmen des Recruitings angesprochen haben, sich auch in den ersten 100 Tagen wiederfinden. Deckt sich die Vorstellung, die der neue Mitarbeiter oder die neue Mitarbeiterin von der Tätigkeit hat, mit der tatsächlichen Erfahrung, wirkt sich dies positiv auf die Candidate-Experience aus.
Die Übergangszeit
Damit die 100 Tage für das neue Teammitglied möglichst reibungslos ablaufen, gilt es – wie bei der Amtsübergabe in den USA – den Übergang gut vorzubereiten. Wird eine Stelle im Unternehmen neu besetzt, weil ein Mitarbeiter ausscheidet, sollte der Vorgänger oder die Vorgängerin alle wichtigen Informationen sowie das Equipment für den Nachfolger oder die Nachfolgerin zusammenstellen. Dazu zählen relevante Dokumente, Anleitungen und eine schriftliche Übergabe zum Status quo bei Aufgaben und Projekten. Wird eine Stelle neu geschaffen, sollten Arbeitgeber überlegen, was die neue Person braucht, um ihre Aufgaben zu erledigen.
In beiden Fällen sollten sich Arbeitgeber während des Prozesses damit auseinandersetzen, welche Informationen der Neuzugang bereits vorab zur Verfügung gestellt bekommen sollte. Zudem ist es sinnvoll, in dieser Zeit bereits organisatorische Aufgaben wie das Ausfüllen des Personalbogens zu erledigen. Je weniger bürokratische Angelegenheiten am ersten Arbeitstag erledigt werden müssen, desto eher kann der neue Mitarbeiter oder die neue Mitarbeiterin mit der inhaltlichen Arbeit beginnen.
Erster Arbeitstag: Amtseinführung
Am ersten Tag beginnen die ersten 100 Tage im neuen Job. Ganz so pompös wie in Washington muss die Einführung nicht sein, aber eine persönliche Begrüßung und eine nette Geste wie ein Blumenstrauß oder ein Willkommensgeschenk sind angemessen. Neu ernannte Präsidenten unterzeichnen traditionell sogenannte ExecutiveOrders – Regierungsanweisungen von höchster Ebene –, die die Einlösung ihrer Wahlkampfversprechen einleiten. In ähnlicher Weise sollte am ersten Tag der Einarbeitungsplan mit den Aufgaben für die kommende Zeit besprochen werden.
Dabei bietet es sich an, in den Aufgabenbereich sowie die wichtigsten Tools einzuführen. Das kann eine Führungskraft oder ein Buddy übernehmen. Ebenfalls wichtig ist, dass das neue Teammitglied seine Kollegen und Kolleginnen, wichtige Ansprechpartner und -partnerinnen sowie die Räumlichkeiten kennenlernt. Deswegen sollten Arbeitgeber am ersten Tag Zeit für eine Unternehmensführung, eine Vorstellungsrunde sowie idealerweise ein gemeinsames Mittagessen mit dem Team einplanen.
Tag 2 bis Tag 100
In diesem Zeitraum geht es darum, die Versprechen einzulösen. Das neue Teammitglied lernt Prozesse, sein Tätigkeitsfeld und die Unternehmenskultur kennen, bekommt Verantwortung übertragen und erledigt seine Aufgaben zunehmend selbständig. Im Idealfall steht ihm ein Buddy, eine Vertrauensperson, zur Seite, der sich sowohl mit dem Tätigkeitsfeld als auch mit der Unternehmenskultur auskennt und die ungeschriebenen Regeln wie Pausenzeiten erklären kann. Während dieser Zeit gibt es viele erste Male. Neben den neuen Aufgaben können das (Groß-)Teambesprechungen, Kundentermine, Messen, Veranstaltungen oder Schulungen sein. Führungskräfte sollten sich dessen bewusst sein und das Gespräch mit dem neuen Teammitglied zur Vor- und Nachbereitung suchen. Ebenfalls ist der Einarbeitungsplan stetig zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen.
Genauso prägend sind die ersten 100 Tage für den Eindruck, den sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber voneinander machen. Wie geht der neue Mitarbeiter Aufgabenstellungen und Probleme an? Wie ist der Führungsstil des Arbeitgebers? Harmonisieren die Arbeitsweisen? Aufgrund dieser Fragen ist es sinnvoll, regelmäßig Feedbackgespräche zu führen, um bei Differenzen frühzeitig gegensteuern zu können.
Spätestens an Tag 100 sollte ein längeres Gespräch stattfinden, denn bei einer üblichen Probezeit von sechs Monaten markiert dieser Tag in etwa die Halbzeit. Damit beide Seiten eine sinnvolle Bilanz zu Erwartungen, Versprechen und Ist-Zustand ziehen können, ist es wichtig, dass bis zu diesem Zeitpunkt alle Aspekte des Tätigkeitsfelds idealerweise mindestens einmal vorkamen. Nur so kann der neue Mitarbeiter beurteilen, ob seine Aufgaben der Stellenbeschreibung gerecht geworden sind.
Der Arbeitgeber sollte zu diesem Anlass Rückmeldung zur bisherigen Arbeitsweise des neuen Teammitglieds geben, dabei aber beachten, dass viele Aufgaben noch keine Routine geworden sein können. Über kleine Fehler und Schwierigkeiten sollte daher hinweggesehen werden, denn der Feinschliff kann später erfolgen. Stattdessen sollte der Fokus auf den Dingen liegen, die gut laufen, sowie auf den Punkten, bei denen beide Seiten noch Herausforderungen sehen.
Unternehmen sollten die Möglichkeit zudem nutzen, sich Feedback vom neuen Teammitglied einzuholen. Dabei können sie über Hürden sprechen, ebenso über die Einarbeitung und das Onboarding. Ermutigen Sie den Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin zu längeren Antworten, denn das neue Teammitglied hat Einblicke in den Prozess von einer Seite, die Sie nicht erleben.
Auf lange Sicht planen
Barack Obama sagte seinerzeit, man solle ihn nicht anhand seiner ersten 100 Tage beurteilen – es seien vielmehr die ersten 1.000 Tage, die einen Unterschied machten. Das gilt auch für die Mitarbeiterbindung. Die ersten 100 Tage sowie die Probezeit bilden das Fundament für eine langfristige und nachhaltige Beziehung zwischen Unternehmen und Arbeitskraft. Einarbeitung und Onboarding sind ausschlaggebend für dessen Tragfähigkeit. Die dauerhafte Bindung ist das Bauwerk, das darauf entsteht, und ein fortlaufender Prozess, denn aus der Candidate-Experience wird im Laufe der Zeit die Employee-Experience.
Deswegen gilt auch nach diesem Zeitraum: Kümmern Sie sich um Ihre Belegschaft, beispielsweise in regelmäßigen persönlichen Gesprächen. Neben Zielen sollte dabei auch immer über die Wünsche und Bedürfnisse des jeweiligen Mitarbeiters oder der Mitarbeiterin gesprochen werden. Diese verändern sich im Laufe der Zeit. War dem Berufseinsteiger oder der Berufseinsteigerin zu Anfang noch der Dienstwagen wichtig, um stressfrei zur Arbeit zu kommen, legt er oder sie als junger Familienmensch später vielleicht mehr Wert auf eine flexible Planung bei Arbeitszeit und Einsatzort. Versuchen Sie diesbezüglich als Unternehmen flexibel auf Wünsche einzugehen – so bleiben die Mitarbeiter glücklich und lange erhalten.
Nina Rahn, Geschäftsführerin, d.vinci