Diversität und Inklusion sind seit längerem ein Thema. Warum thematisieren Sie es?
Daniela Porr: Wir befinden uns an einem Wendepunkt in der Arbeitswelt. Die vergangenen Monate waren geprägt von tiefen Einschnitten. Bewegungen wie „Black Lives Matter“ haben soziale Gerechtigkeit mehr denn je ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Gleichzeitig sind Themen wie körperliche und seelische Gesundheit oder auch Employee-Wellbeing wichtiger geworden.
Das gilt auch für die Ansprüche, die Mitarbeiter an ihren Arbeitsplatz haben. Diese Entwicklung zeigt, dass Diversität, ein Gefühl von Zugehörigkeit und das Employee-Wellbeing von Mitarbeitern keine Randthemen mehr sind, sondern zu den Kernthemen in Unternehmen zählen.
Wir haben in einer Studie den Status quo bei Diversity und Inklusion in Unternehmen untersucht. Mehr als 2.200 HR-Experten und Führungskräfte aus 14 europäischen Ländern haben daran teilgenommen und mögliche Anhaltspunkte geliefert, um D&I-Initiativen weiterentwickeln zu können.
Wie sieht der Status quo von D&I-Initiativen in Unternehmen aus? Wo steht Deutschland im europäischen Vergleich?
Daniela Porr: Im Großen und Ganzen ist die Lage positiv. Europaweit gaben drei Viertel der Befragten an, dass sich die Führungskräfte der Relevanz von D&I bewusst sind. Deutschland liegt dabei mit einem Anteil von 76 Prozent im Durchschnitt.
Das spiegelt sich auch in den Handlungen der Unternehmen wider: 75 Prozent aller befragten Organisationen verfügen über ein dediziertes Budget für D&I-Initiativen, und rund ein Drittel plant, das Budget künftig zu erhöhen.
Noch höher ist der Anteil an Unternehmen, die bereits Maßnahmen zur Förderung von Gleichstellung, Diversität und Inklusion etabliert haben. Europaweit sind es neun von zehn. Am häufigsten darunter sind Förderprogramme, die Gleichstellung und Diversität im Recruiting sowie beim Aufstieg innerhalb der Organisation fördern sollen. Ebenfalls stark vertreten sind Awareness-Kampagnen. Es bestehen aber nicht nur zwischen den Ländern, sondern auch zwischen einzelnen Unternehmen teils erhebliche Unterschiede, was den allgemeinen Reifegrad von D&I betrifft. D&I ist kein Etappenziel, sondern ein langfristiger Transformationsprozess, der Zeit braucht – aber zahlreiche Unternehmen haben sich auf die Reise gemacht.
Welche Hoffnungen sind mit dieser Reise verknüpft?
Daniela Porr: D&I ist zu einem Schlüsselthema geworden. Organisationen verschwenden keine Zeit mehr damit, den Nutzen solcher Initiativen in Frage zu stellen. Neben der Tatsache, dass es aus rein menschlicher Sicht richtig ist, Gleichstellung und Vielfalt am Arbeitsplatz zu fördern, ist auch der Einfluss auf den Geschäftserfolg klar: Wir erleben einen deutlichen Wandel von einem Arbeitgebermarkt hin zu einem Arbeitnehmermarkt. Unternehmen suchen händeringend nach qualifizierten Talenten und sind bemüht, diese langfristig zu binden. Dementsprechend ist für 43 Prozent der Befragten das Employee-Wellbeing ihrer Mitarbeiter ein Hauptargument für Investitionen in diesem Bereich. 40 Prozent möchten zudem das Engagement der Belegschaft erhöhen. Gerade deutsche Unternehmen sind sich des positiven Einflusses einer diversen Belegschaft und einer inklusiven Kultur auf die Innovationskraft bewusst.
Wie gut sind europäische Organisationen derzeit aufgestellt, um ihre Ziele auch zu erreichen?
Daniela Porr: Die Ergebnisse sprechen dafür, dass es häufig keine klare strategische Ausrichtung für D&I gibt. Ein Drittel der Befragten berichtet, dass ihre Organisation über kein stringentes Konzept für die Planung, Durchführung und vor allem Evaluation von D&I-Initiativen verfügt. Das führt dazu, dass viele Maßnahmen und ihr tatsächlicher Einfluss auf den Geschäftserfolg nicht messbar sind.
Tatsächlich geben nur 17 Prozent an, die konkreten Ergebnisse ihrer Investitionen zu überwachen. Ein Großteil der Organisationen arbeitet also mehr oder weniger in einer Black Box, ohne zu wissen, ob ihre Bemühungen Früchte tragen. Grund dafür ist auch ein Mangel an validen Daten und darauf basierenden KPIs. Etwa zwei Drittel aller Organisationen betrachten ihre Mitarbeiter und Kandidaten nach den Kriterien Alter und Gender. Andere Aspekte wie ethnische Herkunft und Nationalität, soziale Herkunft oder sexuelle Orientierung berücksichtigt dagegen nur rund die Hälfte. Das hängt auch damit zusammen, dass solche Daten in vielen europäischen Ländern nach wie vor ein sensibles Thema sind.
Welche Rolle spielen Technologien bei der Auswertung von Daten?
Daniela Porr: Technologien bieten die Chance, die Intersektionen zwischen verschiedenen Diversitätskriterien zu betrachten. Das kann helfen, Probleme aufzudecken, die nicht sichtbar waren. Gibt es unbewusste Voreingenommenheiten bei Einstellung oder Beförderung? Weisen einzelne Unternehmensbereiche eine besonders hohe Fluktuation auf, die im Zusammenhang mit D&I-Faktoren steht? Letztendlich können Technologien helfen, ein ganzheitliches Bild über die Lage zu erhalten, und sie fördern informierte Entscheidungen.
Ist D&I ein Thema der Personalabteilungen?
Daniela Porr: Faktisch liegt die Verantwortung in rund der Hälfte der befragten Organisationen im HR-Bereich. Das birgt jedoch das Risiko, dass D&I als reine Personalfrage gesehen wird und Potentiale, die sich in Bereichen wie Produktentwicklung, Marketing oder Service bieten, ungenutzt bleiben. Ohne ein klares Commitment von Seiten des Topmanagements und aller anderen Unternehmensbereiche haben es HR-Verantwortliche schwer, wirklich nachhaltige Ergebnisse zu erzielen. Die Studiendaten sprechen dafür, dass crossfunktionale Teams und integrierte Strategien wesentlich zum Erfolg von D&I-Initiativen beitragen.
Daniela Porr, Workday