Die Pandemie zeigt deutlich, welche Wirkung digitalisierte Arbeits- und Kooperationsstrukturen haben – und wie segensreich sich diese auf die Arbeitsfähigkeit von Organisationen auswirken. Sie erlauben es, sowohl wesentliche Vorgänge und Kundenanfragen als auch Arbeitsprozesse von anderen Orten aus abzuwickeln. Die Digitalisierung macht es Unternehmen somit möglich, eine Mindestbetriebsfähigkeit zu gewährleisten. In den vergangenen Monaten hat sich gezeigt, wie wichtig digitalisierte Kundenschnittstellen und digitale Arbeitsprozesse sind. Gleichzeitig zeigten sich aber auch die Defizite in den bestehenden Infrastrukturen und Kompetenzen.
Die Erarbeitung von Innovationen auf Basis der Möglichkeiten der digitalen Transformation war schon vor Corona ein strategisch hoch relevantes Thema. Auf der Hand liegt, dass insbesondere das heutige Wettbewerbsumfeld eine schnelle Reaktionsfähigkeit, eine proaktive Aufnahme relevanter Trends und eine agile Umsetzung bei gleichzeitiger Risikofreude erfordert, um am Markt zu bestehen. Produktentwicklungszyklen müssen sich wesentlich beschleunigen, da jederzeit neue Mitbewerber auftauchen können. Gleichzeitig wird der Markt weltweit größer, und es lassen sich neue Kundengruppen erschließen. Nicht zuletzt ermöglichen digitale Technologien, bestehende Entwicklungs-, Produktions- und Geschäftsprozesse zu beschleunigen oder zu verkürzen.
Viele Firmen sind unzureichend aufgestellt
Allerdings ist der Status quo in Bezug auf Erneuerungen und Innovationen in vielen Firmen ernüchternd. Viele deutsche Unternehmen sind im Hinblick auf die digitale Transformation unzureichend aufgestellt. Doch woran liegt das? Und welchen Einfluss hat die Führungsriege auf den Fortschritt der digitalen Transformation in Unternehmen?
Mit diesen Fragestellungen hat sich die Personalberatung Rochus Mummert in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer IAO beschäftigt und eine Studie durchgeführt. Das Team um Josephine Hofmann (Fraunhofer IAO) hat überwiegend Personen aus der Top-Führungsriege international tätiger Familien- und Kapitalmarktunternehmen befragt.
Die Studienergebnisse sind eindeutig: Sie zeigen konkreten Handlungsbedarf und die Notwendigkeit einer umfassenden Veränderung lang eingespielter Handlungsweisen. Unternehmen behandeln das Thema „digitale Transformation“ vermeintlich mit hohem Aufwand, aber weitestgehend mit unzureichender Tiefe und Konsequenz, um wirkliche Innovationen hervorzubringen. Die Erkenntnis, dass der Erfolg von gestern auch der Feind des Erfolgs von morgen ist, ist hier zumindest teilweise ein Erklärungsmuster, das zu tragen scheint.
Viele Unternehmen kommen aus einer langen Phase positiver wirtschaftlicher Entwicklung. Bisherige Prinzipien der qualitätsgesicherten, bestandskundenorientierten Handlungsweise galten daher als tragfähig und wurden nicht hinterfragt. Digitale Transformation wird demnach häufig noch als einzelner Handlungsstrang betrachtet, der in Form von Projekten, Ausgründungen oder Stabsgruppen geschieht. Das zeigt: Ans Eingemachte geht es dabei nicht. Das belegt auch die Studie, nach der 70 Prozent der Teilnehmer mit dem Stand, wie sie die digitale Transformation bis jetzt umgesetzt haben, unzufrieden sind.
Neue Geschäftsmodelle nur schleppend etabliert
Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der Frage, inwieweit sich Firmen für die Entwicklung und Durchsetzung neuer Geschäftsmodelle gerüstet fühlen. Nicht einmal die Hälfte der Teilnehmer gibt an, die Bedrohungen des existierenden Geschäftsmodells rechtzeitig zu erkennen.
Noch besorgniserregender sind die Zustimmungswerte bei der Frage, wie die Teilnehmer die Fähigkeit ihres Unternehmens einschätzen, neue Geschäftsmodelle zügig zu entwickeln und strukturell zu implementieren. Nur rund ein Viertel der Teilnehmer beantwortet die Frage mit „trifft voll und ganz zu“ oder „trifft eher zu“.
Ein weiterer Punkt ist die glaubwürdige und überzeugende Führung der Transformation. Die oberste Führung ermutigt zwar, die Transformation voranzubringen. Die Befragungswerte zeigen jedoch, dass echte Veränderungsbereitschaft zwar grundsätzlich als sehr wichtig erachtet wird, bisher aber noch fehlt. Das ist am Ende auch ein Problem der Führung, der es noch nicht gelingt, die gesamte Belegschaft von der Veränderungsnotwendigkeit zu überzeugen. Bis dato mangelt es an innerer Überzeugung und der Wahrnehmung der Dringlichkeit, wenn es darum geht, echte Sprünge zu machen.
Hier zeigt sich die Schwäche bewährter, ausgefeilter sowie qualitäts- und vergangenheitsorientierter Vorgehensweisen. Sie laufen meist in gut eingefahrenen Bahnen und tun sich schwer, wirklich Neues zu generieren und Chancen jenseits heutiger etablierter Verfahren, Produkte und Prozesse wahrzunehmen. Kurz: Es fehlt an echter Offenheit und an Mut für Neues.
Doch das Verschließen vor Innovation ist keine Seltenheit, denn Innovation erzeugt häufig Reibung, bringt neue Personen in die Organisation, ist unbequem und zwingt, Bestehendes zu hinterfragen.
Dass viele technisch gut aufgestellte Unternehmen es nicht schaffen, alle Potenziale zu nutzen, bestätigen auch die geringen Zustimmungswerte dazu, kreative Mitarbeiter dauerhaft im Unternehmen halten zu können. Nicht einmal ein Viertel der Befragten kann hier zustimmen. Zuletzt zeigt sich eine Systemschwäche im heutigen Anreiz- und Führungssystem der Unternehmen. Klassische KPIs zur Beurteilung von Top-Führungskräften herrschen weiter vor, und die Honorierung des Managementbeitrags zu Innovationen und Veränderungsprozessen ist noch nicht in der Bewertungskultur angekommen.
Wie Führung in der digitalen Transformation aussehen muss
Was also braucht es für eine überzeugende Führung der Transformation? Untersuchungen haben vier Faktoren identifiziert. Demnach braucht überzeugende Führung
- ein authentisches Vorleben einer echten Zukunftsvision, welches inspiriert,
- eine gesunde Paranoia, die Notwendigkeit von Veränderungen als akutes Szenario zu betrachten,
- interne agile Organisations- und Prozessmodelle, die eine schnelle Umsetzung neuer Geschäftsmodelle unterstützen, sowie
- Bereitschaft für eine Kultur, die den Beitrag zur Veränderung als Managementleistung angemessen bewertet und honoriert.