Für einen beruflichen Aufstieg sollten Eigenschaften, Fähigkeiten, Kenntnisse und Erfahrungen ausschlaggebend sein. Lernfähigkeit und -geschwindigkeit gelten dabei als wichtigste Indikatoren für das Entwicklungspotential eines Menschen, dessen berufliche Entwicklung sich im Erreichen bestimmter Managementebenen oder auch von Tarif- und Entgeltstufen widerspiegelt. Doch die Verweildauer in bestimmten Stufen ist unterschiedlich. Hier könnten Unternehmen noch nachbessern.
Richtiger Zeitpnkt für Karriereschritt
Eine Person sollte befördert werden, wenn sie ihre Lernmöglichkeiten in einer Aufgabe ausgeschöpft hat und ihre Kompetenzen für eine höherwertige Aufgabe ausreichen. Dabei ist es für jede Organisation risikoreich, Menschen zu schnell zu befördern. Allerdings ist es auch nicht sinnvoll, sie in einer Aufgabe festzuhalten, in der sie sich nicht mehr entwickeln können.
Für einen Aufstieg müssen aber auch geeignete Positionen verfügbar sein. Ebenso bedeutsam ist es, den richtigen Zeitpunkt für einen Karrierschritt abzupassen. Das klingt trivial, kennzeichnet aber ein dauerhaftes Problem für Führungskräfte und für HR. Fachliche und menschliche Gründe verursachen das Problem:
Berufliche Eignungsdiagnostik führt zu belastbaren Ergebnissen, solange Kenntnisse und Leistungsmerkmale getestet werden können. Die Validität dieser Diagnosen ist aber gering, sobald es nicht mehr um die Eignung für eine bestimmte Stelle, sondern generell um Potential für Führungsaufgaben geht. Es spielen viele Variablen hinein, die meist nicht eindeutig definiert werden können und deren Einfluss und Zusammenwirken nicht kontrollierbar sind. Persönlichkeitstests, Einzel- und Gruppen-Assessments können dabei als Entscheidungsgrundlage dienen, ihre Vorhersagefähigkeit ist aber oft nicht so hoch, dass der in der Regel hohe Aufwand gerechtfertigt ist.
Zur diagnostischen Schwierigkeit kommt die menschliche Seite. Führungskräfte wollen gute Mitarbeiter nicht verlieren. Auch bedeutet jeder Wechsel Aufwand und Unruhe; manchmal blockieren auch Neid und Konkurrenzdenken einen Aufstieg.
Drei Phasen prägen Karrieren
Die entscheidende Karrierephase findet bei den meisten Talenten im Alter zwischen Mitte 30 und Mitte 40 statt. Das bestätigt auch die Auswertung erfolgreicher Entwicklungswege. Demnach verläuft bei vielen Talenten die Karrierekurve folgendermaßen: In der ersten Phase nach dem Berufseinstieg verläuft sie eher flach, in der mittleren Phase steigt sie steil an, bevor sie auf das Zielniveau einschwenkt.
Ein Erklärungsansatz dafür ist, dass mit der Zeit die Informationen über die Person in der Organisation in Umfang und Qualität zunehmen und sich damit die Entscheidungsgrundlage stetig verbessert.
Das aber ist eine rein rationale Erklärung, die wichtige Faktoren ausblendet. So ist die Dokumentation entsprechender Informationen in den meisten Organisationen ziemlich dürftig. Auch sind auf Führung ebenso wie auf HR-Seite im Laufe der Entwicklung immer neue Entscheider beteiligt.
Am Ende wirken Sichtbarkeit und Macht als entscheidende Faktoren. So arbeiten Berufseinsteiger zunächst häufig in größeren Teams. Ihre Führungskräfte sind Team- oder Gruppenleiter, die selbst einen hohen Anteil an Fachaufgaben wahrnehmen. Die nächsthöheren Verantwortungsebenen haben kaum Gelegenheit, die Berufseinsteiger wahrzunehmen; und bei den direkten Führungskräften wirkt sich auch der fehlende Einfluss bremsend auf Karrieremöglichkeiten aus. Insbesondere in größeren Unternehmen und Organisationen führt dies dazu, dass hoffnungsvolle Talente viel Zeit in unteren Ebenen verbringen und erst dann weiterkommen, wenn sie sich selbst vehement ins Gespräch bringen.
In der mittleren Phase verläuft die Entwicklung schneller, weil hochrangige Entscheider die Person entdeckt haben. Sie sind zwar nicht per se bessere Diagnostiker, hegen aber aufgrund der bereits erreichten Position weniger Konkurrenzgefühle und müssen zudem ihre Nachfolge sicherstellen. Außerdem haben sie die Macht, Beförderungen durchzusetzen, während der Einfluss von HR geringer wird.
Nicht selten haben daher obere Führungskräfte in den mittleren Managementfunktionen deutlich weniger Zeit verbracht als in den Fachfunktionen zu Beginn ihrer Laufbahn.
Frühe Karrierebeschleunigung braucht Mut
Je anspruchsvoller eine Aufgabe ist, desto länger dauert es, bis eine Person sie beherrscht. Insofern wäre zu erwarten, dass Verweildauern in komplexen Managementfunktionen länger sind als in der Sachbearbeitung. Auch werden Auswirkungen des eigenen Handelns erst zeitverzögert sichtbar, so dass die Forderung, Manager sollten von ihren Fehlern eingeholt werden können, berechtigt ist. Und schließlich sind kurzfristige Führungswechsel für die Organisation eine Belastung, weil die zwangsläufige Neujustierung aller Beteiligten Ressourcen bindet.
Eine Karrierebeschleunigung für besondere Talente in der ersten Berufsphase ist sinnvoll. Es erfordert keine hohen Investitionen in neue diagnostische Instrumente, sondern prozessuale Schritte und vor allem Mut. Außerdem braucht es das Bekenntnis, dass Menschen unterschiedliche Entwicklungspotentiale haben und Unterschiedlichkeit auch so behandelt wird. Eine „People & Culture“-Botschaft, alle hätten Talente, ist zwar richtig und wird in den sozialen Medien goutiert. Sie hilft aber nicht weiter, um geeignete Führungskräfte zu fördern.
Es war und ist wichtig, beim Berufseinstieg zwischen Normalbesetzungen und außergewöhnlichen Talenten zu unterscheiden. Für Letztere sollten dabei die Anforderungen höher sein und die „Belohnungen“ schneller erfolgen. Gleichzeitig braucht es regelmäßiges Feedback und Entwicklungsrücksprachen. Wenn sich Erwartungen nicht erfüllen, sollten klare Rückmeldungen und Korrekturen erfolgen.
Wird Führung in Frage gestellt, gibt es keine Führungskräfte
Wenn es gelingt, für geeignete Personen die erste Karrierephase zu beschleunigen, können in der unteren und mittleren Managementebene einfacher Verweildauern von drei bis vier Jahren realisiert werden, bevor über den weiteren Aufstieg entschieden wird. Dies scheint sowohl als Lernzeit für die Talente als auch für die Organisationen sinnvoll zu sein.
Allerdings scheint sich das Talentmanagement in vielen Unternehmen zunehmend von jeglichem Elitegedanken zu verabschieden und einer Demokratisierung von Potential anzuhängen. Wird zusätzlich die Bedeutung von Führung in Frage gestellt, indem die Selbstführung aller Experten in agilen Einheiten als Ideal propagiert wird, darf es nicht verwundern, wenn mittelfristig kompetente Führungskräfte fehlen. Das Motto „We are all Leaders“ ist ein Euphemismus mit Folgen. Er diskreditiert Fähigkeiten und Belastungen, die tatsächlich mit Führung verbunden sind.
Carsten Schlichting, Senior Partner, hkp/// group