Was ist aktuell das große Thema bei Beförderungen?
Tereza Hruskova: Wenn es um Beförderungen geht, gibt es einen klaren Trend zu mehr Objektivität. Erstens sehen wir eine Verschiebung zu einer Leistungsbewertung, die auf messbaren Ergebnissen beruht anstatt auf prozessorientierten Werten wie der Anzahl der geleisteten Arbeitsstunden. Diese Entwicklung wurde durch das Home-Office beschleunigt. Zweitens wächst das Bewusstsein für unterschwellige Vorurteile. Viele Unternehmen schulen ihre Führungskräfte darin, bei Personalentscheidungen eigene Vorurteile zu erkennen und zu überwinden. Außerdem entwickeln mittlerweile auch kleinere Unternehmen klar definierte Karrierepfade: Welches sind mögliche Karriereschritte, wie können Mitarbeiter diese erreichen? Es werden Kompetenzen und damit verbundene Erwartungen aufgebaut, um Transparenz für Arbeitnehmer und Objektivität für Arbeitgeber zu schaffen.
Wie laufen Beförderungen bei einem jungen Unternehmen ab?
Alina Zimmermann: Wir treffen unsere Beförderungsentscheidungen auf Grundlage eines transparenten und klar definierten Bewertungssystems, mit dem wir die individuelle Leistung anhand von klar messbaren Indikatoren bewerten. Dieser ergebnisorientierte Ansatz gewährleistet Objektivität und Fairness und zeigt unseren Mitarbeitern transparent, wo sie stehen. Um den Unconscious Bias, das heißt, unbewusste Vorurteile, in unseren Entscheidungen weitestmöglich auszuschließen, halten wir mit Führungskräften aus verschiedenen Abteilungen Kalibrierungsmeetings ab. Diese Treffen dienen dazu, sich gegenseitig zu überprüfen und Konsistenz bei Beförderungen im gesamten Unternehmen zu erreichen.
Titel und formelle Joblevel haben bei uns aber nicht den gleichen Stellenwert wie bei einem etablierten Unternehmen. Als junges Start-up bieten wir Mitarbeitern auch Möglichkeiten, sich in neuen Themenfeldern auszuprobieren, statt nur eine gerade Karriereleiter zu erklimmen.
Setzen Sie als technologieorientiertes Start-up auch bei Beförderungen auf digitale Tools?
Alina Zimmermann: Natürlich werden Ergebnisse an bestimmten Parametern gemessen und Auswertungen digital festgehalten. Wir erfassen zum Beispiel mit Hilfe von Algorithmen, ob unsere Personalentscheidungen in irgendeiner Weise voreingenommen sind. Davon abgesehen pflegen wir den menschlichen Kontakt. In der Pandemie haben wir gesehen, dass das Verlangen nach sozialer Interaktion zugenommen hat. Bewerber von außen suchen möglichst viele persönliche Begegnungen, um vor einem Unternehmenswechsel eine fundierte Entscheidung treffen zu können. Auch wir als Unternehmen mussten lernen, dass die ersten persönlichen Recruiter-Screens entscheidend sind, um eine starke Bindung zu unseren Bewerbern aufzubauen. Das ist durch künstliche Intelligenz nicht vollständig zu ersetzen. Aber natürlich hätten wir es ohne Tools für virtuelle Kommunikation und Zusammenarbeit niemals geschafft, unsere gesamte Belegschaft von einer Woche zur anderen auf die Arbeit im Home-Office umzustellen.
Wie können Unternehmen die Leistung von Mitarbeitern im Home-Office evaluieren?
Tereza Hruskova: Solange die Leistung des Mitarbeiters ergebnisorientiert bewertet wird, gibt es nach meiner Ansicht keinen Unterschied zur Arbeit im Büro. Wir haben sogar festgestellt, dass durch das Home-Office viele falsche Wahrnehmungen reduziert wurden. Ein Beispiel: Bei Brainstormingsitzungen bringen häufig die extrovertierten Kollegen die meisten Beiträge und werden als die leistungsfähigsten wahrgenommen. Im Home-Office erhalten Brainstormings mehr schriftlichen Input. Das schafft eine kreative Atmosphäre, in der auch die schüchternen Mitarbeiter ihre Ideen einbringen können. Ich glaube, es ist ein für beide Seiten gewinnbringender Trend, den Mitarbeitern mehr Flexibilität zu geben – vorausgesetzt, die Ergebnisse stimmen mit den Unternehmenszielen überein.
Und wie können Führungskräfte die berufliche Weiterentwicklung von Mitarbeitern in hybriden Arbeitsmodellen fördern?
Tereza Hruskova: Berufliche Weiterentwicklung ist im Home-Office genauso möglich wie am Arbeitsplatz im Büro. Allerdings brauchen Führungskräfte dafür ein anderes Bewusstsein: Im gemeinsamen Arbeitsalltag gibt es häufig Gelegenheit für informelle Coachings. In hybriden Arbeitsmodellen fehlen Möglichkeiten, sich etwas abzuschauen. Darum sollten Führungskräfte Gelegenheiten schaffen, um diese Coachingmomente auch in einer virtuellen Arbeitsumgebung anzubieten. Die formale berufliche Weiterbildung wiederum ist aus dem Home-Office problemlos möglich. Das Angebot an virtuellen Schulungen wächst mit steigender Akzeptanz des Home-Office. Wir haben allerdings festgestellt, dass im Home-Office die Zahl der Meetings stark zunimmt. Daher sollten Führungskräfte auch darauf achten, dass die Mitarbeiter noch genügend Zeit für ihre berufliche Entwicklung einplanen können.
Das Home-Office ist also kein Karrierehindernis?
Alina Zimmermann: Das liegt in unserer Verantwortung. In vielen Unternehmen arbeiten derzeit alle Mitarbeiter von zu Hause aus, damit haben alle die gleichen Voraussetzungen. Sobald Unternehmen zu einem hybriden Modell übergehen, werden die Führungskräfte, die viel vor Ort sind, die Tendenz überwinden müssen, Mitarbeiter zu bevorzugen, mit denen sie häufiger persönlichen Kontakt haben.
Das Hauptkriterium für eine Beförderung muss eine faktenbasierte Bewertung der Leistungen des Mitarbeiters bleiben. Aber nach der Pandemie wird die Arbeit aus dem Home-Office sich eingespielt haben. Vorbehalte wie Zweifel an der Produktivität, die früher vielleicht bestanden und die Karriere gebremst haben, werden dann ausgeräumt sein. Ich erwarte, dass Mitarbeiter im Home-Office in Zukunft genauso häufig befördert werden wie Mitarbeiter im Büro.
Bieten hybride Arbeitsmodelle manchen Mitarbeitern wie Alleinerziehenden bessere Karrierechancen?
Tereza Hruskova: Alleinerziehende, Studenten, Menschen, die auf dem Land leben und in der Stadt arbeiten möchten, oder Digital Nomads, die von einem anderen Land aus arbeiten möchten – viele Mitarbeiter werden profitieren, wenn die Akzeptanz flexibler Arbeitsformen zunimmt. Viele werden Jobs annehmen können, die bisher wegen fester Standorte und Arbeitszeiten unerreichbar waren. Das ist auch ein Gewinn für Unternehmen, die ihre Mitarbeiter aus einem größeren Pool von Bewerbern auswählen und auf eine engagiertere, produktivere Belegschaft zählen können. Für manchen Mitarbeiter ist das Home-Office ohnehin die bessere Option. Wer einen ruhigen Arbeitsbereich benötigt, kann dort bessere Leistungen erbringen und damit seine Karrierechancen erhöhen.
Das Gespräch führte Thomas Wichelhaus für Zenjob.