Der Begriff Candidate-Experience beschreibt den gesamten Bewerbungs-, Einstellungs- und Einarbeitungsprozess bei einem Arbeitgebenden. Sie beginnt noch vor dem ersten direkten Kontakt – schon der öffentliche Auftritt in der Stellenanzeige ist Teil der Experience. Auch ist sie nicht mit Unterzeichnung des Arbeitsvertrags abgeschlossen, sondern beinhaltet auch das Onboarding und die gesamte Zeit im Unternehmen.
Auf all diesen Etappen gibt es Touchpoints, an denen Arbeitgebende vieles richtig, aber auch vieles falsch machen können. Je positiver die Candidate-Experience insgesamt läuft, umso wahrscheinlicher ist es, dass ein Kandidat oder eine Kandidatin langfristig im Unternehmen bleibt.
Mit der Coronapandemie hat sich die Candidate-Experience an vielen Stellen verändert. Arbeitgeber sollten den gesamten Prozess aus Kandidatenperspektive betrachten. Schließlich geht es um mehr als nur darum, Hygieneschutzmaßnahmen einzuhalten. Auch in einer Remote-organisierten Candidate-Experience müssen grundsätzliche Werte wie Modernität, Transparenz, Wertschätzung und ein gutes Onboarding zur Geltung kommen.
Erste Etappe: vor und nach der Bewerbung
Jobmessen und persönliche Gespräche fallen in Zeiten von Home-Office weg. Umso wichtiger ist es, im digitalen Raum einen guten ersten Eindruck zu hinterlassen. Klassisches Negativbeispiel: Eine Unternehmenswebsite, die nicht zeitgemäß aussieht oder ausgestattet ist, erweckt keine hohen Erwartungen an die digitale Kompetenz eines potentiellen Arbeitgebenden.
Alle relevanten Informationen für sich Bewerbende sollten gebündelt im Karrierebereich der Seite sichtbar sein: Welche Stellen sind offen? Welche Aufgaben und Anforderungen haben sie? Was macht die Firmenkultur aus? Ein persönlicher Kontakt mit Bild und Durchwahl ist hilfreich, damit Interessierte wissen, an wen sie sich bei Fragen wenden können. Und gerade in Zeiten des Social Distancing sind Jobportale im Internet und soziale Medien essentielle Multiplikatoren, damit Stellenanzeigen gesehen werden.
Die Bewerbung selbst sollte ohne große Hürden digital eingereicht werden können – auch von mobilen Geräten aus. Gut ist, wenn der Prozess zudem schnelle und effiziente Funktionen bietet wie das automatische Einlesen des Lebenslaufes aus Xing, LinkedIn oder aus Dateien.
Eine durchdachte Candidate-Experience lässt die Zeit zwischen Bewerbung und erstem Gespräch nicht unbeachtet: Eine zeitnahe Rückmeldung, die den Eingang der Unterlagen bestätigt und Ausblick gibt, wann eine Kandidatin oder ein Kandidat mit einer persönlichen Reaktion rechnen darf, verbessert den Eindruck vom Unternehmen. Wartet sie oder er dagegen zu lange auf eine Rückmeldung, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass andere Unternehmen schneller sind und früher zum Gespräch einladen. Lange Funkstille ist also zu vermeiden. Eine Bewerbungsmanagementsoftware kann helfen, Bewerbungen schneller zu bearbeiten.
Zweite Etappe: Bewerbungsgespräche
Grundsätzlich gilt: Ein Onlinemeeting ist ein Meeting, kein Telefonat. Auch bei virtuellen Bewerbungsgesprächen ist für den Arbeitgebenden wichtig, pünktlich und vorbereitet zu sein. Damit zeigen Sie den Bewerbern und Bewerberinnen Wertschätzung. Zum guten Ton gehört auch, in der Einladungsmail anzukündigen, wer beim Erstgespräch aus welcher Abteilung anwesend sein wird. Das sollten nicht zu viele Personen sein, um den Kandidaten im Videocall nicht zu überwältigen.
Eine ruhige und angenehme Atmosphäre beim Erstgespräch trägt positiv zum ersten Eindruck bei. Denn: Sowohl Arbeitgebende als auch sich Bewerbende präsentieren sich dem jeweils anderen. Transparenz, Ehrlichkeit und respektvoller Umgang bei der Beantwortung von Fragen sind auf beiden Seiten essentiell.
Zu den am häufigsten gestellten Fragen kam im Jahr 2020 eine besonders aktuelle hinzu: „Wie hat Ihr Unternehmen auf die Pandemie reagiert?“ Hier kann ein Unternehmen zwar mit gut ausgebauten Remote-Arbeitsplätzen punkten. Doch was sich Bewerbende eigentlich erfragen möchten, ist eine Perspektive in Bezug auf Beschäftigungssicherheit und Arbeitsschutz in Krisenzeiten. Die Antwort sollte dies berücksichtigen, denn für Bewerber und Bewerberinnen ist der Umgang mit dieser Frage oft genauso wichtig wie die Antwort selbst.
Variable Etappe: Absage Ob vor oder nach einem ersten Gespräch – auch bei Absagen gilt es, wertschätzend zu sein. Sich nicht zurückzumelden ist keine Option, und auch eine schlechte Nachricht kann ein positives Gefühl hinterlassen, wenn sie offen und nachvollziehbar ist. Gerade in Zeiten wie diesen, in denen viel persönlicher Kontakt wegfällt, möchten Bewerberinnen und Bewerber nicht den Eindruck bekommen, auf unpersönliche Art aussortiert worden zu sein. Je weiter eine Person im Bewerbungsprozess vorangeschritten ist, desto persönlicher sollte die Absage erfolgen. Greifen Sie auch mal zum Telefon, anstatt nur eine E-Mail zu versenden.
Selbst wenn es in absehbarer Zeit nicht zu einer Zusammenarbeit kommt, kann ein Kandidat, der einen guten Eindruck vom Unternehmen hat, positiv darüber sprechen – Stichwort Employer-Branding. Sie bauen sich damit langfristig ein Netzwerk an Multiplikatoren beziehungsweise einen Bewerbendenpool auf.
Letzte Etappe: Einstellung, Preboarding und Onboarding
Ist der Arbeitsvertrag unterzeichnet, ist die Candidate-Experience noch nicht vorbei. Gerade wenn die Arbeit remote stattfindet, ist die Zeit zwischen Zusage und erstem Arbeitstag – das sogenannte Preboarding – ein guter Zeitraum, um Kontakt zu halten und die Weichen für die Zusammenarbeit zu stellen. Wenn eine neue Arbeitskraft zum Beispiel schon eine Woche vor Arbeitsantritt den Dienstlaptop bekommt, kann sie sich bereits mit Systemen wie dem Intranet vertraut machen. Technische Fragen wie das Aufbauen der Arbeitsumgebung sollten ebenfalls geklärt werden.
Besonders im Home-Office sollte der erste Arbeitstag mit viel Begleitung erfolgen. Ein Videomeeting zum Auftakt, eine „Welcome-Mappe“ und ein Einarbeitungsplan nehmen das neue Teammitglied an die Hand. Nicht vergessen: Die ungeschriebenen Büroregeln kann sich niemand im Home-Office abgucken: Wie sprechen wir uns an? An wen muss ich mich wenden, wenn die Technik im Home-Office streikt? In welche Gruppenchats kommen wichtige Informationen? Das sollte ebenfalls vermittelt werden. Ein Buddy, also eine feste Ansprechperson, dient dem neuen Teammitglied als Anker. Um ein Gemeinschaftsgefühl aufzubauen, bieten sich im Home-Office gemeinsame Mittagessen oder Kaffeepausen vor der Kamera an.
Fazit
In einem Remote-Arbeitsumfeld kommen zu den gewöhnlichen Unsicherheiten im Bewerbungs- und Onboardingprozess noch viele weitere Faktoren hinzu. Wer sich in die Perspektive der neuen Arbeitskraft versetzt, sich gut vorbereitet sowie viel und transparent kommuniziert, schafft auch ohne Büropräsenz eine positive und effektive Candidate-Experience.
Nina Rahn, Geschäftsführerin, d.vinci