Werte haben sich verändert
Studien zufolge kann sich fast die Hälfte der deutschen Arbeitnehmer vorstellen, weniger zu arbeiten. Das geht aus einer repräsentativen Befragung im Rahmen der Studie „Arbeiten in Deutschland“ hervor, die das Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) gemeinsam mit dem Karrierenetzwerk Xing durchgeführt hat. Kinderbetreuung, die Pflege von Senioren, der Wunsch nach einem berufsbegleitenden Studium oder einer nebenberuflichen Tätigkeit sowie die Optimierung von Pendelzeiten für ein besseres Familienleben sind die häufigsten Gründe, aus denen Arbeitnehmer Alternativen zur Vollzeitbeschäftigung mit festen Arbeitszeiten suchen.
Zudem hat sich der Stellenwert von Arbeit verändert. Vor allem die Generation Y legt großen Wert auf Individualismus und setzt dies auch bei einem potentiellen Arbeitgeber voraus. Für diese Generation haben Faktoren wie Souveränität im Umgang mit der Zeit, Mitbestimmung und eine ausgeglichene Work-Life-Balance einen hohen Stellenwert. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie eine qualitativ hochwertige Freizeit sind für sie besonders wichtig. Aber auch ein harmonisches Arbeitsklima, gegenseitige Wertschätzung und Selbstverwirklichung machen für diese Generation ein perfektes Arbeitsverhältnis aus.
Mehr Modelle flexibler Arbeitszeit
Modelle flexibler Arbeitszeit können diesen Wünschen gerecht werden. Am beliebtesten sind Gleitzeit, Vertrauensarbeitszeit, die klassische Teilzeit und das Jobsharing.
Arbeitgeber, die derartige Modelle in Betracht ziehen, wünschen sich vor allem einen effizienten und kapazitätsorientierten Personaleinsatz. Zudem möchten sie in Zeiten des Fachkräftemangels mit attraktiven Arbeitszeitmodellen bei potentiellen Arbeitnehmern punkten. Gerade kleine und mittlere Unternehmen, die flexible und passgenaue Lösungen für die individuellen Bedarfe ihrer Belegschaft anbieten, können ihre Mitarbeiter langfristig binden und haben auch bei der Rekrutierung von Fachkräften oftmals die Nase vorn. Nicht zuletzt verlangen die gestiegenen Anforderungen durch die Kunden nach ständiger Erreichbarkeit und Service rund um die Uhr von den Unternehmen eine Anpassung ihrer Strukturen. Spezifische Arbeitszeitmodelle sind hierfür ein probates Mittel.
Für Arbeitnehmer geht es bei der Arbeitszeitgestaltung nicht zwingend darum, die Arbeitszeit zu verringern. Vor allem wenn beide Elternteile berufstätig sind, ist die Liste möglicher Alltagsstörfeuer lang. Zwei Drittel der befragten Arbeitnehmer wünschen sich einen flexiblen Umgang mit Arbeitszeit, um private und berufliche Pflichten besser ausbalancieren zu können
Zielgruppe in den Fokus stellen
Inwieweit Modelle flexibler Arbeitszeit die Work-Life-Balance von Arbeitnehmern und damit auch den Unternehmenserfolg positiv beeinflussen können, hängt maßgeblich von den Erwartungen der Zielgruppe ab:
- Fachkräfte schätzen die mit flexiblen Arbeitszeiten verbundenen Freiheiten sowie die ihnen übertragene Verantwortung. Dies fördert Kreativität und Innovationskraft.
- Familiär gebundenen Mitarbeitern wird die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wesentlich erleichtert. Ihr Wunsch steigt, sich langfristig an das Unternehmen zu binden.
- Beschäftigte, die nicht am Unternehmensstandort wohnen, können durch flexible Arbeitszeit produktiver arbeiten und Zeit für eine lange Anfahrt sparen.
- Mitarbeiter, die nicht in Vollzeit arbeiten wollen oder können, bleiben ihrem Unternehmen mit Hilfe von Modellen flexibler Arbeitszeit länger erhalten. Das erhöht auch ihre Zufriedenheit.
- Mitarbeiter mit Weiterbildungsambitionen gewinnen Souveränität hinsichtlich ihrer Zeit, ohne dass sie ihre Beschäftigung aussetzen müssen. Durch eine höhere Qualifikation steigen Produktivität und Innovationsfähigkeit des Unternehmens.
Das passende Modell finden Die Einführung von Modellen flexibler Arbeitszeit ist erfolgreich, wenn sie schrittweise auf die betrieblichen, organisatorischen, personellen und technischen Umstände abgestimmt ist und individuelle Belange der Mitarbeiter berücksichtigt:
Das Gleitzeitmodell ist vor allem für Arbeitnehmer im Dienstleistungssektor interessant, die wenig zeitkritischen Kundenkontakt haben und überwiegend geistig, kreativ und am Schreibtisch arbeiten. Für Schichtarbeit, im medizinischen oder schulischen Bereich sowie in vielen anderen Bereichen sind Gleitzeitmodelle nicht sinnvoll.
Vertrauensarbeitszeit bietet Arbeitnehmern eine maximale Flexibilisierung ihrer Arbeitszeiten. Da nur das Ergebnis zählt, sind Eigenverantwortung und eine gelebte Vertrauenskultur zentrale Voraussetzungen. Wie Gleitzeit ist auch die Vertrauensarbeitszeit nicht in jedem Bereich möglich.
Bei der Teilzeit steht weniger die Flexibilität als vielmehr eine Reduktion der Arbeitszeit zugunsten des Privatlebens im Vordergrund. Teilzeit können grundsätzlich alle Berufsgruppen nutzen.
Ein wenig verbreitetes Modell ist das Jobsharing. Der Schlüssel zu erfolgreichem Arbeiten im Tandem oder im Team liegt in einer lückenlosen, auf Vertrauen basierenden Abstimmung. Jobsharing bietet vor allem auf Führungsebene die Möglichkeit einer Win-win-Situation, nämlich, wenn Arbeitgeber eine führende Position in Vollzeit besetzt sehen wollen und karriereorientierte Eltern die Chance haben möchten, mehr Zeit für die Familie zu haben, ohne auf eine Führungsposition zu verzichten.
Schlüssel zum Erfolg: Ausgangssituation analysieren
Inwieweit Modelle flexibler Arbeitszeit letztendlich die Work-Life-Balance von Arbeitnehmern und damit den Unternehmenserfolg positiv beeinflussen können, hängt neben der schrittweisen und systematischen Implementierung auch von der Ausgangssituation ab. Arbeitszeitmodelle unterscheiden sich grundsätzlich in drei Eigenschaften:
- Dauer der Arbeitszeit
- Lage und Verteilung der Arbeitszeit
- Arbeitsort
Eine Kombination aus verschiedenen Merkmalen kann genau das Richtige für die Mitarbeiter sein. So kann beispielsweise die Arbeit in Teilzeit, basierend auf einer Vertrauensarbeitszeitregelung aus dem Home-Office heraus, erfolgen und damit alle drei Eigenschaften einbeziehen.
Wenn Unternehmen Modelle flexibler Arbeitszeit einführen, ist es entscheidend, dass sie sich ein klares Bild machen, welche Erwartungen die Belegschaft hat. Abhängig von den betrieblichen Erfordernissen, Geschäftsprozessen und Kundenstrukturen kommen dann unterschiedliche Modelle in Frage. Hierbei ist zu prüfen, welche Gestaltungsmöglichkeiten sowohl für die Belegschaft als auch für die betrieblichen Abläufe sinnvoll sind und welche Risiken bei der Implementierung bestehen.
Modelle flexibler Arbeitszeit – kein Selbstläufer
Wie sich Modelle flexibler Arbeitszeit künftig in den Unternehmen manifestieren werden, wird davon abhängen, ob Arbeitnehmer und Arbeitgeber gemeinsame Wege finden, die für beide Seiten vorteilhaft sind. Respekt vor der Aufgabe, Empathie für die unterschiedlichen Interessen und Problemstellungen sowie eine gelebte Vertrauenskultur sind zentrale Voraussetzungen, damit die Implementierung von Modellen flexibler Arbeitszeit erfolgreich ist.
Joshua Hepke, Bachelor of Arts (B.A.), und Prof. Dr. Hubert Vogl, Professor, beide IU Internationale Hochschule