Noch sind die vollständigen Auswirkungen des Corona-Virus nicht auszumachen. Klar ist jedoch: Der erzwungene vorübergehende Stillstand großer Teile von Gesellschaft und Wirtschaft stellt Führungskräfte vor anspruchsvolle Managementsituationen. Selten sind bisher solch extreme Situationen in so geballter Form aufeinandergetroffen. In der Anfangsphase der Krise gehörte dazu der abrupte Wechsel von der persönlichen zu einer rein digitalen Kommunikation für nahezu alle Beteiligten. Zudem war es erforderlich, zügig viele akute Fragestellungen zu lösen und Entscheidungen zu treffen – das Ganze in einer Zeit, in der aufgrund vieler unberechenbarer Faktoren und Unsicherheiten oft nur ein Fahren auf Sicht möglich war und noch ist, während die wirtschaftliche Situation für viele Player zunehmend angespannter wird.
Gleichzeitig haben Führungskräfte gerade jetzt eine wichtige Integrations- und Leitbildfunktion. Mehr denn je sind die Augen auf sie gerichtet. Mitarbeiter erwarten eine aktive, transparente und verantwortungsvolle Führung, die Sicherheit, Orientierung und Zuversicht gibt.
Doch welche Kompetenzen brauchen Führungskräfte in Veränderungsprozessen wie diesen besonders? Auf welche Fähigkeiten wird es – auch nach der Pandemie – verstärkt ankommen? Und wie weit sind diese entwickelbar?
Empathische und wertschätzende Kommunikation ist gefragt
Einmal mehr zeigt sich derzeit, wie sehr es in unruhigen Zeiten neben fachlichem Wissen bei Führungskräften auf Stärken auf der Persönlichkeitsebene ankommt. Eine wichtige Führungskompetenz liegt dabei in einer empathischen, wertschätzenden und klaren Kommunikation. Empathie – die Fähigkeit, sich in andere Menschen und ihre persönliche Situation hineinzuversetzen – wirkt stabilisierend und motivierend. Gleichzeitig führt die wertschätzende Anerkennung des einzelnen Mitarbeiters mit seinen Stärken und Kompetenzen und dessen Einbindung in sich verändernde Prozesse dazu, dass er sich stark mit dem Unternehmen identifiziert. Die Fähigkeit, klar zu kommunizieren und Teams mit Mitarbeitern unterschiedlicher Funktionen und verschiedener Charaktere effektiv zu führen, stärkt zudem das Engagement jedes Einzelnen und den Zusammenhalt im Team.
Eine durch Selbstvertrauen, Zuversicht und gleichzeitig von Ehrlichkeit geprägte Haltung der Führungskräfte fördert die Bereitschaft der Mitarbeiter, notwendige Veränderungen mitzutragen und mitzugestalten.
Die ausgeführten Führungskompetenzen sind besonders in Veränderungssituationen wichtig, die naturgemäß Unsicherheit mit sich bringen. Veränderungen auch über digitale Kommunikationswege – ohne die Möglichkeit einer persönlichen Begegnung – umzusetzen ist eine zusätzliche Herausforderung. Das gilt besonders für Führungskräfte, die bisher keine oder kaum Erfahrung in der Führung von Remote Teams gesammelt haben.
Ebenso wichtig: Besinnen auf eigene Fähigkeiten
Für sich selbst benötigen Führungskräfte jetzt in besonderem Maß eine hohe Ambiguitätstoleranz. Damit ist die Fähigkeit gemeint, sich auf die Mehrdeutigkeit und Ambivalenz von Situationen und Konstellationen bewusst einzulassen und sowohl konstruktiv als auch innerlich gelassen mit ihnen umzugehen.
Diese Fähigkeit wird in einer komplexer werdenden Welt immer stärker gefordert und zunehmend Voraussetzung für gute Führung sein. In gleichem Maß ist eine hohe Analysefähigkeit essentiell, um aus immer wieder neuen und mitunter widersprüchlichen Informationen und Erkenntnissen sinnvolle Schlüsse zu ziehen. Diese Schlüsse zu bewerten und die richtige Unternehmensstrategie zu entwickeln und umzusetzen erfordert strategisches Denken, gepaart mit Mut und Weitblick.
Ein gesundes Selbstvertrauen, das heißt ein Bewusstsein für die eigenen Stärken, verbunden mit der (positiven) Grundhaltung, schwierige Situationen meistern zu können, sind dabei von großer Bedeutung. Erfolgreich überwundene Krisen können eine stärkende Ressource sein. Sie kann bewusst integriert und verinnerlicht werden.
Mehr denn je zahlt sich auch eine hohe Resilienz aus, sprich, eine gut entwickelte psychische Widerstandsfähigkeit – sowohl, um Krisen nachhaltig zu bewältigen, als auch, um bewusst daran zu wachsen.
Über sich selbst reflektieren zu können, gewährleistet gleichzeitig, eigenes Verhalten zu erkennen und bei Bedarf zu hinterfragen, um sich auf diesem Weg weiterentwickeln zu können.
Die Fähigkeit, sich mit anderen zu vernetzen, sorgt schließlich dafür, sich jetzt möglichst effektiv mit neuen Partnern oder Kollegen aus einem bestehenden Netzwerk auszutauschen und offen gegenüber neuen Erkenntnissen zu bleiben.
Fähigkeiten durch Selbstreflexion entwickeln
Es ist offensichtlich: All die genannten Qualitäten werden auch in Zukunft eine tragende Rolle spielen. Die sich rasant verändernden Märkte und Technologien werden weiterhin Führungspersönlichkeiten erfordern, die über das entsprechende Rüstzeug verfügen. Diese lassen sich aber nicht über Nacht entwickeln.
Die Fähigkeit, digital zu führen, ist bis zu einem gewissen Grad für alle – Führungskräfte, Mitarbeiter und Teams – kurzfristig erlernbar. Auch Techniken, mit denen neue Ideen und Lösungen besser entwickelt werden können, lassen sich trainieren.
Für die grundsätzliche Entwicklung eines Führungsverhaltens, wie es große Transformationsprozesse und Krisensituationen erfordern, bedarf es hingegen deutlich mehr Zeit – weil sich gerade Veränderungen auf Persönlichkeitsebene nicht anordnen oder schulen lassen, sondern immer von innen heraus entstehen und reifen müssen. Die nötigen Ansatzpunkte dafür können professionelle Feedbacks liefern, etwa eine externe Managementpotenzialanalyse oder ein internes 360-Grad-Feedback. Die eigentliche „Entwicklungsarbeit“ geschieht dann durch intensive und wiederholte Selbstreflexion und persönlichen Austausch mit unternehmensinternen oder -externen Mentoren oder professionellen Business Coaches.