Wie erleben Sie als EAP-Anbieter die Corona-Krise?
Nadija Amjad-Prietzel: Die Corona-Krise verstärkt bestehende Konfliktsituationen. Schon jetzt ist der Druck auf die Belegschaft sehr groß, und er wird noch steigen. Menschen haben Sorgen um ihren Arbeitsplatz, verbunden mit den finanziellen Auswirkungen, auch im familiären Bereich. Viele Betriebe beschäftigen ihre Mitarbeiter zu anderen Tageszeiten oder im Schichtdienst.
Sind das andere Sorgen als sonst?
Nadija Amjad-Prietzel: Nein, das würde ich nicht sagen. Aber durch die Pandemie kommen neue Sorgen zu den bestehenden Konflikten und Thematiken hinzu.
Ein Beispiel macht das deutlich: Eine Frau, die sich gerade von ihrem Mann getrennt hatte, rief bei der Hotline an. Der Mann hatte gerade mit gepackten Koffern in der Tür gestanden, als der Anruf kam, dass er sich zwei Wochen in Corona-Quarantäne begeben müsse. Er kehrte nach Hause zurück, und die Frau musste die Situation zwei weitere Wochen aushalten. Sie brauchte Unterstützung.
Welche Branchen zeigen aktuell besonderes Interesse an der Dienstleistung EAP?
Nils Schilling: Im Moment wird unsere Leistung zwar von sozialen Trägern wie Kindertagesstätten oder Pflegeeinrichtungen vermehrt angefragt, entgegen den ersten Vermutungen sind es aber vor allem große Konzerne, zum Beispiel Handels- oder Logistikunternehmen, die mit uns Verträge abschließen wollen.
Wie erklären Sie sich das?
Nils Schilling: Gerade in herausfordernden Zeiten bewährt sich das Konzept des Employee Assistance Program (EAP). Die Expertenberatung wird bewusst eingesetzt, um Mitarbeitern Orientierung und Hilfestellung in schwierigen privaten und beruflichen Lebenslagen zu geben. Dadurch soll eine Verschärfung der Krisenthemen vermieden werden, die zu längeren Ausfällen führen könnte.
Bekommen Mitarbeiter schnell qualifizierte Unterstützung, können auch Führungskräfte entlastet werden. Unternehmen reagieren zunehmend auf das grundsätzlich steigende Bedürfnis nach Fürsorge und erhöhen hierdurch ihre Leistungsfähigkeit.
Wie oft werden die Berater zurzeit von überforderten Führungskräften kontaktiert?
Nadija Amjad-Prietzel: Im Moment werden wir vor allem von Mitarbeitern angerufen. Wenn uns Führungskräfte anrufen, dann nicht in ihrer Rolle als Führungskraft, sondern als Mitarbeiter. Meistens erleben wir nach der Bewältigung von schwierigen Lebenslagen einen vermehrten Gesprächsbedarf.
Das war auch so zu erwarten. In akuten Krisensituationen wird auf Probleme reagiert. Die Verarbeitung der Ereignisse findet später statt. Es gibt viele Untersuchungen dazu, dass Menschen Hilfe vermehrt annehmen, wenn sie schon „über den Berg“ sind.
Sind Sie denn in die Krisenbewältigung des Unternehmens direkt eingebunden?
Nils Schilling: Das sind unsere Berater immer. Deswegen ist es auch nicht richtig, wenn von einem Callcenter gesprochen wird. Das impliziert, dass ein anonymer, wechselnder Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung sitzt. Tatsächlich sind es festangestellte Berater mit fachspezifischem Hochschulabschluss und Zusatzqualifikationen. Unsere Berater wissen aus dem internen Wissensmanagement, aus welchem Unternehmen der Anrufer kommt und welche grundsätzlichen Thematiken gerade in diesem Unternehmen vorherrschen.
Unsere Hilfe ist eine akut einsetzende Unterstützung sowie Begleitung und ist für die Klienten unmittelbar verfügbar. Gibt es Umstrukturierungen, Change-Prozesse, vielleicht auch Stellenabbau, dann ist der Berater im Bilde. Damit kann er schneller und zielgerichteter helfen. So verhält es sich auch mit der Videoberatung oder den Gesprächen vor Ort, wenn ein Telefonat nicht ausreicht.
Und wie wird die Möglichkeit für den Mitarbeiter, sich an eine Beratung zu wenden, kommuniziert?
Nadija Amjad-Priezel: Zuletzt habe ich von einem ganz tollen Beispiel gehört: Da hat das Unternehmen auf die Rückseite der Gehaltsabrechnungen einen Hinweis für die EAP-Betreuung drucken lassen. Das ist super. Wir unterstützen aber auch mit Material und Information. Die meisten Unternehmen haben verstanden, dass ihnen eine Expertenberatung nur nützt, wenn die Mitarbeiter auch davon Gebrauch machen.
Wieso entscheiden sich Unternehmen, eine Expertenberatung zu buchen?
Nils Schilling: Das ist interessant, es sind oft keine Statistiken oder Werbemittel, die die Entscheidung beeinflussen, sondern ganz private Geschichten. Wenn wir fragen, wie ein Unternehmen darauf gekommen ist, die Expertenberatung zu buchen, dann hören wir oft, dass derjenige, der das Projekt anstößt, selbst eine Krise durchlebt hat, bei der er positive Erfahrung mit professioneller Hilfe gemacht hat. Die Empathie wächst mit dem Erlebten.
Frau Amjad-Prietzel, Sie haben selbst jahrelang als Expertenberaterin gearbeitet. Haben Sie einen Wunsch, was in Unternehmen grundsätzlich anders laufen sollte?
Nadija Amjad-Prietzel: Oh, da fällt mir sofort etwas ein. Ich wünsche mir, dass in den Unternehmen die Informationen für die Mitarbeiter besser zugänglich gemacht werden. Häufig entstehen durch Unwissenheit Missverständnisse. Das entlädt sich dann bei uns in der Beratung. Die Auswirkung sind Anrufe mit demotivierten und verärgerten Mitarbeitern. Unternehmensentscheidungen werden häufig nicht transparent genug gemacht.
Gute interne Kommunikation ist äußerst wichtig – gerade in Zeiten des Umbruchs und der Krise. In der Jahresauswertung der Beratung steht nicht selten der Aspekt „Psyche“ an oberster Stelle der Kontaktgründe zu den Beratern. Es wäre schön, wenn Unternehmen unsere Erkenntnisse für die gesundheitliche Prävention der Belegschaft weiter annähmen.
Wie hat sich Ihre eigene Arbeit durch Corona verändert?
Nils Schilling: Wir haben unser Angebot im März 2020 angepasst. Uns gibt es jetzt 24/7 in der EAP-Experten-Hotline. Zudem bieten wir zusätzlich Videosprechstunden an. Damit decken wir einen Bedarf ab, der unserer Meinung nach ohnehin gewachsen wäre, aber durch die Corona-Pandemie in kurzer Zeit noch stärker geworden ist.