Herr Professor Bauer, die Digitalisierung verändert kleine und mittlere Unternehmen (KMU).
Prof. Dr. Wilhelm Bauer: Die Digitalisierung betrifft natürlich auch die mittelständischen Unternehmen, doch die digitale Transformation ist noch nicht in allen Betrieben angekommen. Wenn Sie Geschäftsführer in KMU fragen, warum die Digitalisierung nicht ganz oben auf ihrer Agenda steht, dann verweisen die Gesprächspartner auf die gute Konjunktur und darauf, dass ihnen schlicht die Zeit fehlt, um sich mit der digitalen Transformation auseinanderzusetzen. Dabei sollten gerade die Jahre der Hochkonjunktur, in denen Geld für strukturelle Innovationen vorhanden ist, genutzt werden, um die eigene Organisation und ihre Prozesse digital aufzustellen. In konjunkturell schwierigen Jahren fehlt dieses Geld oft. Auch mangelt es den Betrieben und vor allem der Geschäftsleitung oft an digitalen Kompetenzen. Diese Unternehmen brauchen deshalb Hilfe und Orientierung von außen. Zwei Dinge sind für die Geschäftsführung in einem KMU notwendig. Zum einen müssen sie verstehen, dass die Digitalisierung keine Mode ist, die saisonal kommt und geht. Sie ist ein grundlegender, unausweichlicher Wandel des Wirtschaftslebens. Zum anderen brauchen die Betriebe digitale Kompetenzentwicklung gerade auf der Führungsebene. Wenn ein Betrieb solche Kompetenzen entwickelt hat, sollte er sie von oben nach unten innerhalb der Organisation weitergeben. Darüber hinaus sollte das Erlernen digitaler Kompetenzen im Unternehmen auch bottom-up – ausgehend von den Digital Natives zu den etablierten Führungskräften – im Pair Working organisiert werden. Die digitale Transformation verändert das Geschäftsmodell und die Organisation dahinter grundlegend.
Wie können KMU die Digitalisierung meistern?
Prof. Dr. Wilhelm Bauer: Besser klein beginnen. Es ist viel schwieriger, eine gesamte Unternehmenskultur von oben nach unten zu drehen, vor allem dann, wenn sie sich bei genauem Hinsehen nicht so schnell ohne Schäden verändern lässt. Eine digitale Transformation muss zunächst einmal starten, um in Gang zu kommen. Dafür müssen einfache, erste Schritte erlaubt sein – ohne Antrag, ohne Genehmigung. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen am Anfang experimentieren und Fehler machen dürfen, etwa bei der Entwicklung digitaler Produkte. Zudem muss die Organisation Dynamik, Kreativität und Agilität fördern sowie agile Methoden zur Anwendung bringen. Wichtig ist unserer Erfahrung nach, dass Führungskräfte die Führungsarbeit und Kommunikation in einem ambidextren Umfeld beherrschen. Sie sollen einerseits die Produktivität und Rentabilität des effizienten Routinegeschäfts steuern, während sie andererseits Kreativ- und Innovationsteams führen müssen. Dies erfordert zielgruppenspezifische Einstellungen und Verhaltensweisen sowie entsprechende Führungs- und Kommunikationskompetenzen. Den Mitarbeitenden im Stammgeschäft muss man erklären können, dass das Unternehmen innovative und kreative Spinner braucht, damit es überhaupt eine Chance für eine betriebliche Zukunft mit Leistungen von morgen gibt. Die Kreativen müssen durch die Führungsarbeit und Kommunikation erkennen, dass die etablierten Bereiche mit ihren Deckungsbeiträgen von heute das Zukunftsgeschäft von morgen finanzieren.
Wer sollte in einem Unternehmen der Treiber der Digitalisierung sein? Allein das Management oder auch die Mitarbeitenden?
Prof. Dr. Wilhelm Bauer: Beide Seiten sind notwendig. Natürlich muss ein Arbeitgeber seine Digitalisierungsstrategie intern top-down kommunizieren. Doch es ist in einer solchen Phase des Experimentierens, Ausprobierens und Lernens notwendig, dass Mitarbeitende Vorschläge machen dürfen, dass Themen aus der Belegschaft nach oben getragen werden. Ein Prozess wie die Digitalisierung gewinnt mehr Fahrt, wenn Kräfte von oben und unten in ähnlicher Art wirken und sich in der Mitte treffen. Genau in der Mitte liegt die Problemzone vieler Unternehmen. Junge Menschen, die aus dem Studium oder der Ausbildung kommen, innovative Ideen haben und umsetzen wollen, stoßen in Betrieben oft auf starre Strukturen. Diese bremsen innovative Ideen zu oft aus, deshalb müssen die Organisation und die Prozesse elastischer werden. Dabei hilft Ambidextrie, also die Beidhändigkeit einer Organisation. Wir müssen bestehende Strukturen und innovative Treiber zulassen, ohne dass die eine Seite die andere ausbremst. Auf diesem Fundament lässt sich eine passende Unternehmenskultur für das digitale Zeitalter entwickeln. Das erfordert einen höheren Entwicklungsgrad der Führung, indem Führungskräfte den Mitarbeitenden mehr Vertrauen schenken und eine größere Entscheidungsbefugnis überlassen.
Wie bewerten Sie den globalen Wettbewerb für deutsche und europäische Unternehmen?
Prof. Dr. Wilhelm Bauer: Wir waren gerade im Maschinenbau über viele Jahrzehnte hinweg weltweiter Marktführer und sind es in vielen Sparten immer noch. Auch funktioniert unser europäisches Wirtschaftssystem, die Soziale Marktwirtschaft, nach wie vor gut. Diese Grundprinzipien sollten wir auf jeden Fall beibehalten, denn sie bewähren sich bis heute. Aber wir brauchen auch einige strukturelle Veränderungen. In Unternehmen und im Wirtschaftssystem insgesamt muss dereguliert werden, damit sich dynamische und kreative Kräfte entfalten können. Eine intelligente Organisationsentwicklung muss auf allen Ebenen Unternehmertum im Unternehmen fördern. Die Innovationszyklen werden in allen Bereichen immer kürzer, und um mit dem gestiegenen Tempo Schritt zu halten, müssen viele Betriebe ihr bisheriges Geschäftsmodell überprüfen und neu aufstellen. Noch wichtiger ist aber nach meiner Überzeugung, dass wir weiterhin technologische Innovationen entwickeln, und nicht nur unsere Wettbewerber in anderen Regionen der Welt. Wenn wir die Nase bei Innovationen vorne haben, dann sichern wir damit die Existenz unserer Unternehmen und unserer Arbeitsplätze am besten. Umgekehrt steht auch fest, dass wir viele Jobs verlieren werden, wenn wir den Innovationsvorsprung einmal einbüßen werden.
Wie lösen die Betriebe den Bedarf an Weiterbildung in Sachen Digitalisierung?
Prof. Dr. Wilhelm Bauer: Studien lassen erwarten, dass die Digitalisierung uns keine Massenarbeitslosigkeit bescheren wird, aber es werden viele Stellen in manchen Bereichen wegfallen, während neue Jobs an anderen Stellen entstehen. Für diese Jobs werden neue Kompetenzen gefordert sein, und das ist eine Herausforderung, die wir durch permanente Weiterbildung meistern müssen. Hier sind alle Player aufgefordert, schneller zu handeln und digitale Inhalte besser in den Unterricht, in Prüfungsvorbereitungen und in Weiterbildungsmaßnahmen einzubringen. Das gilt für Schulen, Hochschulen und Kammern gleichermaßen. Bei uns dauert der Schritt von der Erkenntnis zur Umsetzung und Veränderung manchmal zu lang, auch bei der Anerkennung und Entwicklung neuer Ausbildungsberufe. In jedem Fall werden sich die Kompetenzanforderungen mit der Digitalisierung verschieben. Lebensbegleitendes Lernen wird immer wichtiger. Entscheidend ist, dass der einzelne Berufstätige bereit ist, sich auch in seiner Freizeit weiterzubilden. Hierfür brauchen wir klügere Onlineformate mit kleinen Bindungsschnipseln.<