Was andernorts seit Jahren diskutiert wird, ist im bayerischen Wiesthal seit Anfang 2022 Realität: Die etwa 500 Beschäftigten des Messmaschinenherstellers Wenzel haben seit Beginn des Jahres die Möglichkeit, nur vier Tage in der Woche zu arbeiten. Wie das Unternehmen Anfang Februar mitteilte, wurde die 4-Tage-Woche in der Produktion am Stammsitz als Standard und in der Verwaltung als Option eingeführt – und das in den meisten Fällen ohne Lohnkürzung.
Konkret sieht das Modell vor, die Arbeitszeit von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Produktion von 37,5 auf 36 Stunden zu reduzieren – ohne Lohnkürzung. In der Produktion ist somit der Freitag zum zusätzlichen freien Tag geworden. Dadurch haben sich die Schichtzeiten von Montag bis Donnerstag leicht verschoben sowie auch verlängert. Bei hoher Auslastung „gibt es jedoch eine deutliche Präferenz der Mitarbeiter und der Geschäftsleitung, zunächst die Maschinen jeden Tag länger laufen zu lassen, ehe der freie Freitag ,geopfert‘ wird“, erzählt Geschäftsführerin Heike Wenzel. Mit dem Betriebsrat sei zwar vereinbart worden, dass bei Verzögerungen in der Produktion der Freitag als Arbeitstag genutzt werden könne. „Wir gehen aber davon aus, dass dies nur in wenigen Ausnahmefällen genutzt werden muss“, fügt sie hinzu.
Maschinenbauer will Vorreiter sein
„Die Reduzierung der Arbeitstage von fünf auf vier Tage pro Woche greift in allen Abteilungen, in denen die Umsetzung möglich ist“, erklärt Personalleiter Daniel Eisler. Das Unternehmen sieht sich mit seinem Modell als „Vorreiter in seiner Branche und der Region“, wie es auf der Firmenwebsite verrät. Und in der Tat: Ein Blick in die Branche verrät, dass kaum ein anderer Maschinenbauer diesen Schritt bisher gegangen ist oder wenigstens angekündigt hat. Auch in anderen Branchen wagt kaum ein Unternehmen ein derartiges Modell.
Neues Modell als Wettbewerbsvorteil
Warum sich der Mittelständler für das Arbeitszeitmodell der 4-Tage-Woche entschieden und welche Erfahrungen er bereits gemacht hat, verrät uns die Geschäftsführung. „Für uns ist das neue Arbeitszeitmodell auch eine tolle Möglichkeit, als attraktiver Arbeitgeber zu punkten, ein klarer Vorteil im Wettbewerb um die besten Talente am Arbeitsmarkt“, erklärt Wenzel.
Als Mitte 2021 die Arbeit an einem neuen Arbeitszeitmodell begann, hätten sich die Führungskräfte auch gefragt, was sie aus der Coronakrise beibehalten können. „Viele Mitarbeiter hatten signalisiert, dass die durch Corona vorübergehend erforderliche Kurzarbeit eigentlich sehr gut zu ihren eigenen Ansprüchen passt“, heißt es aus dem Unternehmen.
Des Weiteren seien dem Mittelständler die Motivation und die Zufriedenheit der Mitarbeiter wichtiger als die Auslastung der Maschinen, heißt es in einer Pressemitteilung. Auf Nachfrage bekennt das Unternehmen aber auch, dass die Reduzierung der Maschinenlaufzeiten einen energetischen und einen Kostenvorteil mit sich bringe. Denn durch den zusätzlichen freien Tag könnten die energieintensiven Maschinen und Klimatechnik in der Produktion bereits am Donnerstag abgestellt und 10 bis 15 Prozent an Energiekosten eingespart werden.
Und auch die Beschäftigten selbst scheinen zufrieden zu sein. „Das Modell wurde sehr gut angenommen und wird als absoluter Mehrwert angesehen“, sagt die Geschäftsführerin. Allerdings sei das neue Modell noch nicht überall vollständig ausgerollt.
Aufgrund der aktuellen weltweiten Versorgungsengpässe sind zurzeit in der Fertigung und Montage sowie in der Zentrale, dem Wareneingang und dem Versand nur einige wenige Mitarbeiter am „freien Freitag“ präsent, um Terminverschiebungen zu vermeiden. „Das sind aber derzeit nur 3 bis 5 Prozent der Mitarbeiter, und es sollten gegen 0 Prozent sein, wenn die aktuellen Probleme bewältigt sind“, hofft Geschäftsführerin Wenzel.
Einen Sonderfall stellen zudem die Beschäftigten dar, die laut Arbeitsvertrag 40 Stunden in der Woche arbeiten. Sie konnten sich aussuchen, entweder ebenfalls auf das Arbeitszeitmodell der 4-Tage-Woche zu wechseln oder bei den alten Vertragskonditionen zu bleiben. Falls sich die Beschäftigten für einen Wechsel entschieden, reduzierten sich zunächst die im Arbeitsvertrag festgelegten Wochenarbeitsstunden auf 37,5 – allerdings mit entsprechender Gehaltsreduktion. Zeitgleich griff dann das Modell der 4-Tage-Woche, das bedeutete eine erneute Reduzierung der Wochenstunden auf 36 – bei vollem Lohnausgleich.
Wenzel möchte 4-Tage-Woche beibehalten
Nach den ersten Wochen mit dem neuen Arbeitszeitmodell resümiert Geschäftsführerin Heike Wenzel: „Wir sind davon überzeugt – und zumindest die ersten Wochen belegen das –, dass die Produktivität nicht gesunken ist“.
Der Wiesthaler Maschinenbauer Wenzel ist entschlossen, die Reduzierung der Arbeitszeit bei nahezu vollem Lohnausgleich an allen Standorten weltweit zu etablieren.
Damit steht sein Konzept in deutlichem Kontrast zum belgischen Arbeitszeitmodell, das die Einführung der 4-Tage-Woche bei gleichbleibender Anzahl der Wochenarbeitsstunden vorsieht. Geschäftsführerin Wenzel erklärt: „Das geplante Modell in Belgien mit großen Schwankungen in der wöchentlichen Arbeitszeit ist sicher für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Büro auch eine gute Lösung, in der Fertigung wäre das nur sehr schwierig umsetzbar.“ Ein Produktionsunternehmen wie Wenzel brauche klare zeitliche Abläufe, da viele Fertigungs- und Montageprozesse aufeinander aufbauen.
Jan Schuermann, Redakteur, F.A.Z. Business Media