Teilzeitmodelle werden wichtiger, auch auf Geschäftsführungsebene. Das liegt unter anderem daran, dass der Wettbewerb um Führungskräfte immer schärfer wird. Aus diesem Grund schreiben manche Unternehmen Führungspositionen mittlerweile sowohl in Voll- als auch in Teilzeit aus.
Eines dieser Unternehmen ist der Oldenburger Energiekonzern EWE, der rund 9.000 Beschäftigte hat. Rund 6 Prozent der Führungskräfte, davon zwei Drittel weiblich, arbeiten bei dem Konzern derzeit in Teilzeit. Tendenz steigend.
Der Konzern zieht eine positive Bilanz: „Wir stellen fest, dass sich mehr Frauen und Männer auf Führungspositionen bewerben, seitdem wir sie konsequent auch teilzeitgeeignet ausschreiben. Außerdem sehen wir, wie der Austausch über dieses Thema neue Ideen und Lösungen hervorbringt und Menschen motiviert, mutig auszuprobieren“, sagt Marion Rövekamp, EWE-Vorständin Personal und Recht und Arbeitsdirektorin. Für sie ist die Entwicklung zu mehr Teilzeit erfreulich, weil es die Voraussetzung ist, dass mehr Bewegung in die Rollenverteilung kommt.
In dem niedersächsischen Konzern gibt es verschiedene Teilzeitmodelle: Manche Beschäftigte haben ihre wöchentliche oder ihre monatliche Arbeitszeit reduziert, andere nehmen zusätzliche Urlaubstage. Vereinzelt teilen sich zwei Personen eine Führungsrolle. Bei letzterem, dem sogenannten Jobsharing, braucht es allerdings regelmäßige gemeinsame Abstimmungsgespräche unter den Führungspersonen. „Es ist individuell, was jeder oder jede braucht, wie er oder sie am besten arbeiten kann. Da ist es gut, wenn wir als Unternehmen darauf eingehen können“, sagt Vorständin Marion Rövekamp.
Hohe Erwartungshaltung der Talente
Klar ist: Heutzutage erwarten Talente, auch wenn sie klassische Führungsaufgaben übernehmen möchten, dass sie flexibel arbeiten können. Wer also auf die Wünsche nach Flexibilisierung eingeht, spricht mehr Menschen in unterschiedlichen Lebensphasen an. Ein echtes Plus vor dem Hintergrund des Führungskräftemangels. „EWE hat festgestellt“, sagt Rövekamp, „dass sich mehr qualifizierte Personen auf die Stellen bewerben, seit wir sie auch teilzeitgeeignet ausschreiben.“
Rövekamp sieht einen weiteren Vorteil: „Es geht uns auch um eine ausgeglichenere Rollenverteilung, die es allen ermöglicht, ihre Stärken einzubringen.“ Wenn sich mehr Menschen – Frauen wie Männer – vorstellen könnten, in Teilzeit zu führen, sei dies auch ein Instrument, eine gleichmäßigere Verteilung aller Geschlechter über die Unternehmensbereiche und Hierarchiestufen zu erreichen. Bisher wurden hochqualifizierte Frauen, die in Teilzeit arbeiten, selten auf die Übernahme von Führungsaufgaben angesprochen.
Christina Heilmann ist eine der Teilzeit-Führungskräfte im EWE-Konzern Sie leitet die Erdgasumstellung in einem Tochterunternehmen und führt ein interdisziplinäres Team mit zwölf Beschäftigten. Mit ihren 32 Wochenstunden ist sie täglich bis 15 Uhr erreichbar. Dann holt sie ihre Kinder ab. Sie ist überzeugt: „Es kommt nicht auf die Stunden an, die ich mit den Kollegen verbringe, sondern auf das, was ich leiste.“
Damit sie ihre Arbeit in ihrer Arbeitszeit erledigen kann, fokussiert sie sich auf Führungsaufgaben, die strategische Ausrichtung des Teams und auf die Gesamtzielerreichung. „Meine Aufgabe ist auch, meinem Team den Rücken freizuhalten. Daher gehe ich bei Bedarf operativ hinein und stehe bei operativen Fragen beratend zur Seite.“
Wie Heilmann konzentriert sich auch Christina Niemöller als Teilzeit-Geschäftsführerin bei Slashwhy auf strategische Aufgaben. Niemöller gehört zu einem vierköpfigen Geschäftsführungsteam; nur zwei Mitglieder davon arbeiten in Vollzeit. Sie selbst hat eine 75-Prozent-Stelle in der Geschäftsführung des Osnabrücker Softwareunternehmens. Ihre Rolle beschreibt sie so: „Ich gebe viele operative und inhaltliche Aufgaben an die Teams ab und versuche, die Führungskräfte darin zu bestärken, selbst Entscheidungen zu treffen. Zudem ist es meine Aufgabe, die Teams zu coachen und ihre Selbstorganisation zu stärken.“
Auch Slashwhy schreibt alle offenen Stellen für Voll- und für Teilzeit aus. Das hat für Niemöller klare Vorteile: „Wenn wir zwei Personen für eine Position einstellen, versuchen wir, dass sie zwei verschiedene Perspektiven und verschiedene Skills mitbringen.“ Somit ergeben zwei halbe Stellen auch mehr als eine Vollzeitstelle. „50 plus 50 ergibt bei uns nicht 100 Prozent, sondern wir haben Mehrwerte durch die beiden Personen.“ Zudem bekomme Niemöller immer wieder zurückgespiegelt, dass die Mitarbeiter, die sich die Verantwortung teilen können, glücklicher seien.
Aufpassen müsse das Unternehmen natürlich, dass nicht zu viel Zeit für Abstimmungen verloren geht. Daher hat es vor einiger Zeit seine Meetingstruktur verschlankt. Für die tägliche Abstimmung nutzen die Geschäftsführer ein Kanban-Board sowie einen Teams-Channel. Die Führungsriege trifft sich zwei Mal wöchentlich in Abstimmungsmeetings sowie etwa alle zwei Monate, um die Arbeit zu beleuchten. Auch wenn es im Alltag keine abgesprochenen Arbeitszeiten gibt, sehen sich die CEOs viel im Büro. Falls einmal nicht alle Geschäftsführer und die Geschäftsführerin erreichbar sind, können auch nur zwei von ihnen Entscheidungen treffen. „Wir können alle die Entscheidungen der anderen gut mittragen. Da gibt es großes Vertrauen“, so Niemöller.
Mindset ist entscheidend
Damit das Führen in Teilzeit gelingt, braucht es ein paar Voraussetzungen. Für Rövekamp und Heilmann steht eine offene Unternehmenskultur an erster Stelle: „Früher war es gang und gäbe: Der, der als letzter im Unternehmen das Licht ausmachte, war der, der am meisten gearbeitet hat. Dieses Denken ist überholt“, so Heilmann. An diesem kulturellen Wandel müssten die Unternehmen arbeiten. Rövekamp ergänzt: „Bei allen Fortschritten braucht so eine kulturprägende Maßnahme natürlich Zeit, um Wirkung zu entfalten.“
Für Niemöller ist das Mindset wichtig: „Wir brauchen gute Kolleginnen und Kollegen, die gut organisiert sind und gern Verantwortung übernehmen. Das ist ein Mindsetthema.“ Für sie gibt es noch einen weiteren wichtigen Punkt: die Fehlerkultur. „Alle dürfen Fehler machen. Wichtig ist, dass sie überhaupt handeln und Entscheidungen treffen.“
Zudem betont Niemöller, dass Personen, die in Teilzeit führen, gut organisiert sein müssen und delegieren können sollten. Nur so kann das Teilzeitmodell eingehalten werden,was ihr auch wichtig ist. „Ich schaue, dass ich meine 30 Stunden nicht überschreite, weil ich Vorbild sein möchte.“
Es gibt auch Fallstricke
Dass Führen in Teilzeit auch Fallstricke birgt, spricht ein ehemaliger Mitarbeiter eines großen Konzerns aus. Der heutige Berater, der ehemals ein Team mit 80 Festangestellten in Teilzeit managte, möchte namentlich nicht genannt werden. Er identifiziert rückblickend verschiedene Probleme: „Vielleicht war ich nicht gut genug organisiert und konnte nicht loslassen?“, stellt er in den Raum.
Auch hätte er sich einen zweiten Geschäftsführer an seiner Seite gewünscht oder zumindest eine Vertretung, die die Zeiten aufgefangen hätte, zu denen er nicht anwesend war. Denn: „Die Gesamtkapazität muss gleich bleiben. Das, was ich nicht mache, muss eine andere Person machen“, sagt er. Trotz der schlechten Erfahrung ist er Teilzeitmodellen nicht abgeneigt: „Wenn man es gut hinbekommt, hat es eine Vorbildfunktion, vor allem wenn es auf Führungsebene passiert.“
Fazit
Wie auch immer Modelle zur Flexibilisierung der Arbeitszeiten aussehen: Sie können auf Geschäftsführerebene funktionieren, wenn einige Voraussetzungen stimmen: Es braucht flexible Prozesse, Offenheit bei Führungskräften und Teams gegenüber neuen Modellen, die Bereitschaft, Verantwortlichkeiten und Entscheidungsbefugnisse anders zu verteilen sowie mutige Vorreiterinnen und Vorreiter.
Entscheidend ist auch die Unternehmenskultur: Wenn Organisationen Veränderungen als Chance und nicht als Angriff auf den Status quo betrachten, kann auch Geschäftsführung in Teilzeit gelingen.
Kirstin Gründel