Herr Meltz, Sie sind Mitautor des Whitepapers „Gesund arbeiten im neuen Normal“ und beschreiben darin die neue Rolle von Führungskräften. Warum ist gute Kommunikation in dieser Zeit besonders wichtig?
Oliver Meltz: Menschen wünschen sich Informationen, um mit mehr Sicherheit durch die Krise zu gehen. Sie wünschen sich emotionale Unterstützung, um sich für die Krise zu stärken. Findet Arbeit im Home-Office statt, fallen etablierte Kommunikationskanäle und Routinen weg. Führungskräfte können nicht durch die Abteilung gehen und die Stimmung spüren. Sie müssen sich daher fragen, wie Kommunikation dennoch gut gelingen kann.
Was ist „gute Kommunikation“?
Oliver Meltz: Gute Kommunikation passt zu den Erfordernissen einer Organisation, die Ziele erreichen muss. Zur Zielerreichung wirken unterschiedliche Menschen und Abteilungen zusammen. Das erfordert, Informationen auszutauschen. Diesen Austausch sicherzustellen ist Führungsaufgabe.
Gute Kommunikation geht jedoch weit über die Bereitstellung von Informationen hinaus. Sie sorgt dafür, dass sich die Beschäftigten als Menschen wahrgenommen und wertgeschätzt fühlen. Sie unterstützt das Gefühl von Verbundenheit, auch wenn dezentral gearbeitet wird. Gerade in Krisen ist ein Wir-Gefühl motivierend. Regelmäßige Kommunikation über virtuelle Kanäle kann auch dem Gefühl von Einsamkeit vorbeugen.
Was passiert, wenn gute Kommunikation fehlt?
Oliver Meltz: Kommunikation erfüllt verschiedene Aufgaben. Fehlen Informationen, können Aufgaben nicht richtig bearbeitet werden. Projekte verzögern sich, es entsteht Frustration. Eine unzureichende Abstimmung führt zu Ressourcenverschwendung, zum Beispiel, wenn verschiedene Stellen die selben Aufgaben doppelt bearbeiten.
Ist Kommunikation dagegen ausschließlich sachbezogen, kann das dazu führen, dass Beschäftigte sich isoliert und wenig mit ihrem Team oder ihrer Organisation verbunden fühlen. Wenn emotionale Themen nicht angesprochen werden, drohen Konflikte. Zufriedenheit, Motivation und Leistungsfähigkeit sind dann in Gefahr.
Welche Chancen ergeben sich für Führungskräfte durch das Home-Office?
Oliver Meltz: Die Arbeit im Home-Office erfordert neue digitale Kommunikationskanäle. Diese ermöglichen, kurzfristig und zeitökonomisch mit vielen Mitarbeitern auch an anderen Standorten zu kommunizieren. Ortsunabhängiges Arbeiten ermöglicht auch, dezentrale Teams aus Spezialisten zusammenzustellen. Eine dritte Chance besteht darin, sich in Krisenzeiten von Unruhe lösen zu können, die beispielsweise am Unternehmensstandort entsteht. Durch eine neue Situation werden alte Dynamiken durchbrochen, auch dysfunktionale. So entsteht neuer Gestaltungsspielraum und damit eine Chance, Dinge (noch) besser zu machen.
Wie können Führungskräfte eine gute Kommunikationskultur etablieren?
Oliver Meltz: Sind Führen aus der Ferne und digitales Zusammenarbeiten nicht geübt, stehen Führungskräfte vor ungewohnten Herausforderungen. Der erste Schritt besteht nach meiner Erfahrung darin, das Thema „gute Kommunikation“ als Führungsaufgabe zu begreifen. Da die Kommunikation zu den Aufgaben und der Kultur eines Teams passen muss, empfiehlt sich zu reflektieren, was gute Kommunikation im speziellen Umfeld ausmacht. Die Reflexion kann mit dem Team gemeinsam stattfinden, um Perspektiven abzugleichen.
Im zweiten Schritt muss die Führungskraft die aus der Reflexion gewonnenen Informationen in neue Strukturen und Abläufe übersetzen. Dabei geht es sowohl um die Kommunikation zwischen Führungskraft und Team als auch um die zwischen den einzelnen Teammitgliedern. Für beides braucht es Raum und Ressourcen, etwa in Form von digitalen Kommunikationsmitteln. Da für eine gute Zusammenarbeit informelle Kommunikation wichtig ist, lohnt es, hierfür ebenfalls Kanäle zu schaffen, etwa virtuelle Räume für einen Kaffeeplausch.
Woran können Führungskräfte erkennen, dass mehr Kommunikation erforderlich ist?
Oliver Meltz: Das deutlichste Zeichen sind Beschäftigte, die offen um mehr Abstimmung oder Informationen bitten. Aber auch wenn ein Team seine Aufgaben nicht ausreichend erfüllt oder sich soziale Spannungen abzeichnen, ist mehr Kommunikation geboten. Kann eine Führungskraft kaum einschätzen, ob das Team seine Aufgaben wahrnimmt oder welche Stimmung vorherrscht, ist auch das ein Hinweis darauf, dass Kommunikation fehlt.
Gibt es auch ein Zuviel an Kommunikation?
Oliver Meltz: Ja, man kann auch zu viel kommunizieren. Entscheidend ist immer, zu welchem Zweck Kommunikation vom Sender eingesetzt und wie diese bei den Empfängern verstanden wird. Ein Beispiel: In einem schon lange eingespielten Team von Sachbearbeitern mit klar abgegrenzten Zuständigkeiten gibt es deutlich weniger Abstimmungsbedarf als in einer frisch gegründeten Kreativabteilung. Wenn die Führungskraft des Sachbearbeiterteams jeden Tag jeden Mitarbeiter einmal anruft, um nach dem „Stand der Dinge“ zu fragen, kann dies von den Mitarbeitern als kontrollierend wahrgenommen werden.
Um solchen Missverständnissen vorzubeugen, kann es hilfreich sein, die Motivation hinter einem Anruf zu erklären. Zudem können beide Seiten abgleichen, wie sie sich die Kommunikation unter den neuen Arbeitsbedingungen vorstellen.
Was hat Kommunikation mit gesunden Mitarbeitern zu tun?
Oliver Meltz: Die Art, wie Menschen miteinander umgehen, hat maßgeblichen Einfluss auf deren Wohlbefinden. Ein positiver, wertschätzender Umgang trägt dazu bei, sich wohlzufühlen und psychisch gesund zu bleiben. Unfreundliche oder gar aggressive Kommunikation ist dagegen belastend. Im Berufsleben ist es wichtig, inhaltliche Differenzen von der persönlichen Ebene zu trennen. Als Führungskraft eines ganz oder teilweise virtuell zusammenarbeitenden Teams, ist der bewusste Einsatz von Kommunikation erforderlich, um der Fürsorgepflicht nachkommen und für die Gesunderhaltung der Mitarbeiter eintreten zu können.
Können wir gute Kommunikation lernen?
Oliver Meltz: Wenn wir dem Vortrag eines Redners lauschen, mögen wir vielleicht den Eindruck bekommen, gute Kommunikation sei eine Kunst. Ich allerdings empfehle Führungskräften, die gut kommunizieren möchten, Kommunikation als Handwerk zu begreifen, das sie erlernen und einüben können.
Die Grundlagen guter Kommunikation vermitteln wir als Arbeitspsychologen beispielsweise in Workshops und Seminaren. Spezifische Fragestellungen lassen sich am besten in Einzelcoachings klären. Schließlich ist der eigene Kommunikationsstil auch etwas Persönliches. In einem Coaching geht es nicht nur um die Frage, wie „man“ gut kommunizieren „kann“, sondern auch darum, wie „ich“ gut kommunizieren „möchte“.