Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels und alternder Belegschaften kommt es darauf an, auch die älteren Arbeitnehmer in den Unternehmen gesund und leistungsfähig zu halten. Doch besonders in den Arbeitsbereichen, in denen schwer gehoben oder getragen oder viel über Kopf gearbeitet wird, sehen die Zahlen nicht rosig aus: Jeder Siebte, der körperlich schwer gearbeitet hat, wird zum Frührentner. Zwei ias-Sicherheitsingenieure sprechen über die Situation in Unternehmen, über technische Hilfsmittel und darüber, was der zunehmende Automatisierungsgrad bewirken kann. Und sie geben praktische Tipps für Arbeitgeber.
Herr Kampe und Herr Steder, welche Erfahrungen machen Sie mit der Kombination aus schwerer körperlicher Arbeit und alternden Belegschaften in den Betrieben?
Stefan Kampe: Die pauschale Gleichung „Je älter der Mitarbeiter, desto häufiger und länger fällt er auch aus“ trifft leider in der Realität zu. Die Unternehmen suchen daher nach Lösungen, mit denen sie ihre körperlich schwer arbeitenden Mitarbeiter unterstützen können.
Sebastian Steder: Dabei sind es mitunter Kleinigkeiten, die die Arbeitgeber anpassen können, um eine ergonomischere Arbeitsausführung für eine alternde Belegschaft zu gewährleisten. Technische Hilfsmittel wie ein elektrischer Hubwagen oder ein Wagen mit Scherenhub können den Mitarbeiter deutlich entlasten.
Die digitale Transformation verändert auch die Arbeit im produzierenden Gewerbe und in der Logistik stark. Wie schnell verläuft dieser Prozess?
Stefan Kampe: Der Markt ist in Bewegung, daher sollten Unternehmen ihn genau im Blick behalten. Wir beobachten, dass der Automatisierungsgrad in den Betrieben steigt. Doch nicht immer gestaltet sich eine solche Umrüstung hin zu ergonomischen Lösungen einfach.
Woran liegt das?
Sebastian Steder: Neue, bereits vorhandene Lösungen arbeiten häufig zu langsam oder unflexibel, oder sie sind zu kostenintensiv. Viele Unternehmen benötigen technische Lösungen, die einen hohen Grad an Flexibilität aufweisen. Hierfür müssten sie hohe Summen aufbringen. Das lässt viele Betriebe hilflos zurück. Spätestens an diesem Punkt werden wir als Sicherheitsingenieure hinzugezogen. Wir arbeiten dabei interdisziplinär: Gemeinsam mit Beratern des betrieblichen Gesundheitsmanagements oder mit Ergonomieinstruktoren vermitteln wir den Beschäftigten das ergonomische Verhalten am Arbeitsplatz. Der Umgang mit schweren Lasten muss geübt werden. Fehler in der Bewegungsausführung haben sich oft über Jahre eingeprägt. Wir helfen Beschäftigten dabei, dieses falsche Verhalten abzulegen, und schützen sie so vor Verletzungen und Gesundheitsschäden.
Stefan Kampe: Unternehmen sollten für ihre älteren Beschäftigten zudem frühzeitig in Ersatzarbeitsplänen alternative Arbeitsplätze erarbeiten. In der Praxis landen Mitarbeiter, die jahrzehntelang körperlich schwer gearbeitet haben, häufig von jetzt auf gleich an einem Bildschirmarbeitsplatz.
Auf den ersten Blick klingt das nach einer naheliegenden Lösung, wenn schwere körperliche Arbeit nicht mehr vertretbar ist.
Sebastian Steder: Naheliegend ist die Lösung vielleicht, aber dabei wird oft übersehen, dass sie den Betroffenen, der sein Leben lang körperlich gearbeitet hat, möglicherweise kognitiv überfordert. Die Herausforderung ist, die Menschen mitzunehmen und für den neuen Einsatz zu schulen. Das wird in den Betrieben mitunter vernachlässigt.
Stefan Kampe: Hinzu kommt, dass gerade die Mitarbeiter, die jahrelang an Bildschirmarbeitsplätzen tätig waren, durch eine verkrampfte Haltung und unbewegtes Sitzen mehr Rückenerkrankungen aufweisen. Wenn nun ältere Beschäftigte mit bestehenden Rückenleiden auf solche Arbeitsplätze gesetzt werden, kann eine stundenlange sitzende Tätigkeit vorhandene Beschwerden noch verstärken.
Zu welchen Lösungen raten Sie denn den Betrieben?
Sebastian Steder: Im Mittelpunkt steht die Frage, wie das Arbeitsumfeld und die Arbeitsbedingungen gestaltet sein müssen, damit auch ältere Beschäftigte gesund, leistungsfähig, motiviert und kreativ bleiben. Die Unternehmen dürfen nicht erst im Akutfall überlegen: Was mache ich jetzt mit dem betreffenden Mitarbeiter? Dann ist guter Rat teuer und in zahlreichen Einzelfällen schwer zu finden. Vielmehr muss ein Unternehmen immer einen Plan für die Zukunft bereit halten.
Stefan Kampe: Meine Empfehlung lautet, nicht nur die älteren Beschäftigten zu entlasten, die eventuell bereits Schädigungen aufweisen, sondern auch präventiv den jungen, gesunden Mitarbeitern adäquate Angebote zu machen. Dazu gehört auch, zu ermitteln, bei welchen Arbeitsschritten welche Belastungen entstehen. Eine ganzheitliche Gefährdungsbeurteilung ist hier das A und O. Die Maßgabe muss lauten: Der Arbeitsplatz ist so zu gestalten, dass er zu den Menschen passt, nicht umgekehrt.
Das Interview führte Dr. Guido Birkner.