Ein leergefegter Arbeitsmarkt und eine hohe Fluktuation der Mitarbeiter beschäftigen die HR-Verantwortlichen in jungen Unternehmen ebenso wie die Kollegen in traditionellen Organisationen. Der Schreibgerätehersteller Montblanc ist in Märkten zu Hause, die bislang noch durch ein höheres Maß an Kontinuität und weniger Veränderungen geprägt sind als andere Branchen. Nina Noll, Director Talent, Culture and Organisation bei Montblanc, berichtete auf dem HR-Summit der F.A.Z.-Gruppe, dass das Unternehmen ungeachtet des stabilen Marktes HR-Prozesse und -Tools immer wieder erneuern muss. „Damit ist für unsere 3.200 Mitarbeiter auch ein Change-Prozess verbunden.“
Nina Noll ist nach eigener Aussage „keine Personalerin by Heart, aber bei Nature“. Beim Start-up Home24 hat sie früher die HR-Abteilung aufgebaut. Jetzt ist die ehemalige Unternehmensberaterin mit ihrem Wechsel zu Montblanc in die gesetzte Welt zurückgekehrt, um Erfahrungen aus beiden Welten zu kombinieren. „Ein Umfeld mit Tradition in ein neues, agiles Umfeld zu überführen ist eine spannende Aufgabe.“ Auch wenn Härten bei der Arbeit in Start-ups nicht ausblieben, will Nina Noll ihre Zeit in der Berliner Gründerszene nicht missen. „Ich kann bei Montblanc nur deshalb Input zu agilen Arbeitsweisen geben, weil ich sie aus erster Hand selbst kennen gelernt habe.“
Dazu gehören der Umgang mit nicht ausgereiften Lösungen und die Weiterentwicklung von Produkten, noch während sie auf den Weg gebracht werden. „Eine Mitarbeiterbefragung haben wir einmal in einer Nacht- und Nebelaktion zusammengestellt und verschickt“, so Nina Noll. „Da blieb keine Zeit für eine 100-prozentige Lösung, sondern 60:40 mussten reichen mit einigen Korrekturen in letzter Minute.“ Zugleich nannte die Personalerin die vollständige Kundenorientierung als wichtige Erkenntnis aus ihrer Zeit bei Home24. „In einem Start-up sollte sich die Personalarbeit komplett auf den Bedarf der Mitarbeiter fokussieren.“ Umgekehrt heißt das: Alles, was die Kollegen nicht benötigen, ist auch für HR verzichtbar. Ein Weiterbildungsseminar muss nicht für die gesamte Belegschaft angesetzt werden, wenn nur eine Handvoll Mitarbeiter Bedarf anmeldet. „Wir haben solche Maßnahmen immer individuell zur Verfügung gestellt, wenn jemand das gebraucht hat, aber nie allen quasi von oben vorgeschrieben.“ Bei Montblanc kann die HR-Expertin heute ihre meisten Erfahrungen aus der Start-up-Zeit in die Praxis einbringen.
Der Müslianbieter mymuesli ist eine klassische Gründungsgeschichte. 2007 von drei Studenten in Passau gegründet, beschäftigt das junge Unternehmen heute bereits 700 Mitarbeiter in der DACH-Region. Heike Ehmann verantwortet dort als Head of Human Resources die Personalarbeit. Recruitment zählte bei ihrem Start 2015 zu den wichtigsten Aufgabenfeldern. „Wir rekrutieren nicht auf der Basis von Lebensläufen, sondern von Kompetenzen und führen situationsbezogene Interviews.“
Gespräche mit Bewerbern laufen bei mymuesli in der Regel so ab, dass die Bewerber erzählen, was sie von ihrem potenziellen Arbeitgeber erwarten und welche Kompetenzen sie mitbringen. Die Arbeitgeberseite fragt dann, welche Ziele die Bewerber bei mymuesli umsetzen wollen. „Die wichtigste Kompetenz der Bewerber und der Mitarbeiter ist ihre Einstellung zum Arbeitgeber, zur Arbeit und zu ihren Aufgaben“, so Heike Ehmann. Das Engagement, die Kompetenzen und der Teamspirit des Einzelnen geben den Ausschlag darüber, ob Start-up und Bewerber zusammenkommen. „Konkrete Ziele sind für uns wichtiger als ein abstrakter Lebenslauf.“
Auch elf Jahre nach der Gründung will mymuesli immer noch ein Start-up sein und diesen Charakter erhalten. Dazu zählte Heike Ehmann vor allem Eigenständigkeit, Eigenverantwortung und Selbstbestimmung. „Wir verzichten bis heute weitgehend auf eine Hierarchie und auf Managementstufen“, sagte die Personalleiterin. „Wir wollen den Ruf nach Strukturen nicht mit Bürokratie beantworten.“ Lieber holt mymuesli eine neue Person an Bord, von der sich die Gründer und Teams versprechen, von ihr viel lernen zu können, als eine neue Hierarchieebene einzuziehen. „Wir von HR müssen das Unternehmen so organisieren, dass wir eine Struktur haben, in der sich jeder Einzelne gut aufgehoben fühlt, und uns selbst nicht durch Bürokratie bremsen.“ Das ist sicher die größte Herausforderung, vor der die HR-Abteilung gerade steht.
Heute verzichtet HR auf vorangehende Freigabeprozesse. „Wir schauen in der Regel immer zuerst, was passiert, wenn unsere Teams etwas umsetzen, und greifen bei Bedarf hinterher korrigierend ein.“ HR bei mymuesli hat in den vergangenen Jahren die einzelnen Teams und Bereiche befähigt, neue Mitarbeiter selbst zu rekrutieren. Zugleich verfügt HR über die notwendigen Instrumente und baut diese weiter aus, um die relevanten Prozesse und Entscheidungen messen und prüfen zu können.
Elena Aubell war früher bei Rocket Internet und Amazon tätig und ist heute Head of Human Resources bei LucaNet, einem Berliner Softwarehersteller für das digitale Accounting. Für sie sind das schnelle Reagieren und das große Engagement bei knappen Ressourcen die wichtigsten Erfahrungen in ihrer Start-up-Zeit. „Für mich als HRlerin ist es auch in der neuen Aufgabe bei LucaNet sehr wichtig, dass ich das liebe, was ich tue.“ Laut Elena Aubell zeichnen Amazon Pragmatismus und rasche Entscheidungen trotz Konzernstrukturen aus. „Positiv ist bei Amazon, dass HR dort einen hohen Stellenwert hat.“
Für Nina Noll sind Start-ups auch im Hinblick auf die Vergütung attraktive Arbeitgeber. „Viele Gründungen zahlen höhere variable Gehaltsbestandteile, darüber können Beschäftigte bei einer entsprechenden Performance des Unternehmens gut verdienen.“ Doch sei das Geld für viele Mitarbeiter nicht der einzige Antrieb, um in einem Start-up zu arbeiten. „Unternehmensgründungen können ihren Mitarbeitern deutlich mehr Benefits, mehr Kultur und mehr Flexibilität bieten als manche traditionellen Organisationen.“ Genau das ziehe vor allem junge Menschen an.
Das bestätigt Elena Aubell aus der Sicht von LucaNet. „Wir gehen stark in Richtung flexible Arbeitszeiten und Homeoffice.“ Dadurch könne das Unternehmen jedem Beschäftigten die Flexibilität bieten, die er sich aufgrund seiner familiären Situation wünscht. Zusammen mit dem geforderten Engagement und dem freundschaftlichen Umgang miteinander sei das aber ein attraktiver Rahmen für Bewerber.
Elena Aubell und Nina Noll betonten, dass sich ihre Berufsstationen in Start-ups für die eigene Karriere als HR-Expertinnen als sehr förderlich erwiesen haben. „Ich werde in Gesprächen mit Headhuntern immer auf meine Zeit bei Rocket Internet und meine Learnings dort angesprochen“, berichtete Frau Aubell. „Agilität und Flexibilität lernen wir bei Start-ups zwangsläufig“, ergänzte Nina Noll, „und genau diese Kompetenzen sind heute bei etablierten Unternehmen verstärkt gefragt.“