„Unser Erfolgsgeheimnis ist: Wir oktroyieren keine neuen Ansätze, keine neuen Methoden auf, sondern unterstützen von HR aus unsere Mitarbeiter.“ Das berichtet Lars Rottschäfer nicht ohne Stolz. Der Leiter des Bereichs Global Reward and Mobility von SGL Carbon hat vor knapp zwei Jahren in seinem Unternehmen begonnen, agile Strukturen auszuprobieren.
„Das Thema New Work ist Ende 2018 entstanden“, erinnert sich Rottschäfer. „Damals haben wir im IT-Bereich überlegt, wie sich die IT-Kollegen gut weiterbilden können.“ Mitarbeitergespräche hätten damals ergeben, dass sich die Beschäftigten vor allem agile Methoden wünschten, Scrum oder auch Kanban.
Aus diesem Wunsch heraus fiel der Startschuss Richtung Agilität bei SGL. „Da es keinen Sinn machte, nur einzelne Mitarbeiter auf Fortbildung zu schicken, haben wir die erste Welle Richtung Agilität gestartet,“ berichtet der Wiesbadener. Rund 70 Mitarbeiter, vor allem aus dem IT-Bereich, hat das mittelständische produzierende Unternehmen damals auf Fortbildung geschickt. Sie wurden zu Trainern ausgebildet und haben gelernt, wie die neuen Methoden die Arbeit verändern und wie sie diese einsetzen können.
Agiles Arbeiten begann in der IT
Als die geschulten Mitarbeiter zurückkamen, haben sie die ersten Scrum-Maßnahmen umgesetzt und Digitalisierungsprojekte angestoßen. So hat die IT-Abteilung ihre Projekte auf Kanban-Boards visualisiert. Zudem hat sie User-Stories entwickelt: Die Fragestellungen waren: „Was soll unsere Software leisten?“ Und: „Wie erreichen wir unsere Kunden?“
Aber noch etwas passierte: Die fortgebildeten Mitarbeiter waren so begeistert von den neuen Methoden, dass sie die ganze Organisation „etwas angefixt“ haben, wie Rottschäfer formuliert. „Wir haben festgestellt: Das ist eine große Kiste.“ Somit folgte auf die erste Welle Richtung Agilität eine weitere.
In dieser Phase überlegten Rottschäfer und sein Team, wie sie die Erfahrungen, die sie im IT-Bereich gesammelt hatten, in andere Bereiche übertragen konnten. „Wir haben uns gefragt, was die Erfahrungen im IT-Bereich für die Business Units bedeuten könnten, insbesondere für Vertrieb und Entwicklung.“ Eine Fragestellung lautete: „In welchen Bereichen wollen wir uns vertrieblich verstärken?“
Mit Design-Thinking-Methoden konkretisierten die HRler, welche Möglichkeiten agile Methoden für einzelne Bereiche bieten könnten. „Wir setzten uns sechs Monate damit auseinander. Die Antworten stellten wir dem Leitungsteam vor. Auch dem Vorstand schlugen wir vor, diese Methoden stärker zu implementieren.“ Das war vor knapp einem Jahr, im Juni 2019. „Wir wollten uns neu aufstellen“, fasst der Personaler zusammen.
Das gelang. SGL Carbon rollte die neuen Ansätze unternehmensweit aus – zunächst deutschlandweit. Das hieß jedoch nicht, dass jede Abteilung die neuen Methoden anwenden musste. Vielmehr sieht Rottschäfer seinen Auftrag darin, ein Beratungsangebot anzubieten. „Wir präsentieren keine Initiative, keine vorgefertigte Lösung für alle, sondern bieten unsere Ideen als Angebot von HR an.“
HR hat einen Werkzeugkoffer gepackt
Konkret bedeutet das, dass jedes Team mit einer Fragestellung oder dem Wunsch, etwas zu verändern, an die HR-Abteilung herantreten kann. HR hält einen Werkzeugkoffer, wie Rottschäfer es nennt, bereit. Darin sind verschiedene Methoden wie Scrum, Kanban und andere alternative Arbeitsmethoden enthalten, die im Unternehmen umgesetzt werden können. Aus diesen kann das Team die für sich passende Methode auswählen. Welche Methode ein Team einsetzt, entscheidet dies selbst. „Wichtig ist zu jedem Zeitpunkt, dass das konkrete Problem, nicht die angewendete Methode im Vordergrund steht“, betont der Personalmanager. Er selbst wirkt beratend in dem Prozess, beispielsweise wenn es um die Auswahl von Schulungen und Trainings geht.
New Work als alternativer Ansatz
Rottschäfer ist es wichtig, dass in seinem Unternehmen alle New-Work-Ideen nur als alternative Gedankenansätze gesehen werden. „Die agilen Methoden sollen das Bestehende ergänzen, nicht ersetzen“, betont er und setzt fort: „Wenn einer etwas schon zehn Mal gemacht hat, müssen wir es nicht neu machen. Wenn aber schon x-mal eine Sache diskutiert wurde und es kein Ergebnis gab, dann versuchen wir es mit einem neuen Ansatz.“
Darin liegt auch der Schlüssel zum Erfolg: Rottschäfer rollt nicht alle Methoden in einem Schwung über den ganzen Konzern aus, sondern bietet sie den Beschäftigten an und bindet diese ein. „Die Mitarbeiter sollen mitentscheiden.“ Diesen Wunsch hatten schließlich schon vor der Agilitätswelle viele Kollegen im Rahmen der letzten Mitarbeiterbefragung geäußert.
Initiativen in vielen Bereichen
Rottschäfer freut sich, dass die Ideen gut aufgenommen werden. „Unsere Befürchtung war, dass viele Naturwissenschaftler und Ingenieure den neuen Ansätzen skeptisch gegenüberstehen. Das war aber nicht so.“ Viele hätten interessiert gefragt: „Was habt ihr in eurem Beratungsportfolio?“
So konnte auch der Forschungs- und Entwicklungsbereich ausgewählte Methoden aus dem Werkzeugkoffer anwenden. 40 Mitarbeiter – das sind etwa die Hälfte der Belegschaft in diesem Bereich – nahmen an Trainings teil. Anschließend haben sie fünf Kernprojekte festgelegt, die sie mit agilen Arbeitsweisen angehen wollten. Unter anderem prüften sie, wie sich der Konzern in einem möglichen Geschäftsfeld neu aufstellen konnte. Dieser Fragestellung gingen sie mit der Scrum-Methode nach. Unterstützung bei der technischen Umsetzung erhielt die F&E-Abteilung dabei von den IT-Kollegen.
Ebenfalls startete eine Initiative der Mitarbeiter. Diese entwickelten gemeinsam mit Studenten der Hochschule Augsburg ein neues Raumkonzept. Sie entwarfen für das größte SGL-Werk am Standort Meitingen in Süddeutschland einen Besprechungsraum mit Coworking-Area. In das Raumkonzept integrierten sie beschreibbare Wände, bewegliches Mobiliar und ein Kanban-Board. Der neue Raum wird von jedem Mitarbeiter nutzbar und eine Alternative zu bisherigen Besprechungsräumen sein.
Weitere Schritte: agile Produktion
Auch für die Produktion sind Besprechungsräume in Planung. Diese brauchen jedoch andere Anforderungen als Räume für Verwaltungsmitarbeiter. „In den Produktionsstandorten müssen die Räume robust sein, damit sie auch mit schmutziger Arbeitskleidung betreten werden können. Dennoch sollten diese Räume ergonomischen Grundsätzen folgen“, meint Rottschäfer. Er möchte deshalb künftig gemeinsam mit den Produktionsmitarbeitern vor Ort neue Räume konzipieren.
Kommunikation unter Mitarbeitern als wichtigstes Element
Zu guter Letzt ist sich Rottschäfer bewusst, dass das beste Konzept nichts taugt, wenn es nicht bei den Mitarbeitern bekannt ist. „Es muss im Konzern kommuniziert werden. Unsere Botschaft muss in die ganze Belegschaft abstrahlen.“ Daher ist es ihm wichtig, Mitarbeiter zu schulen, damit sie die Ideen in die gesamte Organisation hineintragen.
In den kommenden Jahren sollen auch die weltweiten Standorte des Konzerns von den neuen Ideen profitieren. „Wir werden New-Work-Coaches ausbilden, um internationale Standorte einzubeziehen.“ Eine Timeline, bis wann dieser Prozess abgeschlossen sein soll, habe sich HR dafür nicht gesetzt. Ein neues Mindset zu etablieren, brauche schließlich Zeit, mindestens vier bis fünf Jahre, prognostiziert Rottschäfer.
Sein Ziel ist, dass sich die Methoden eines Tages so etabliert haben, dass HR keine Beratung mehr leisten muss. „Das Schönste wäre“, so gibt er zu, „wenn die New-Work-Stelle eines Tages überflüssig wäre und keiner mehr das Beratungsangebot braucht.“