Lasse Rheingans hat bereits vor rund vier Jahren in seinem Unternehmen den 5-Stunden-Tag eingeführt – für alle, auch für die Führungskräfte. Die Mitarbeiter arbeiteten anfangs von 8 bis 13 Uhr und erhielten dafür volles Gehalt. Durch die Pandemie sind die Arbeitszeiten flexibler geworden, das Gehalt ist geblieben: „Durch Corona sind wir in eine komplette Selbstorganisation gegangen. Jeder musste selbst für sich schauen, wie er seine Arbeit schaffen und mit Kinderbetreuung und Freizeit vereinbaren kann.“
Für den Inhaber der Rheingans GmbH war bei der Flexibilisierung der Arbeitszeiten wichtig, dass es seinen Mitarbeitern gutgeht. Als Chef achte er nicht darauf, wie die Menschen ihre Arbeit organisierten und wann sie arbeiteten, sondern vielmehr darauf, dass sie ihre Projekte fertigstellten und dabei „nicht über sich selbst stolperten“. Damit meint er, dass er Sorge tragen müsse, dass seine Mitarbeiter sich selbst gegenüber achtsam seien. Das sei gerade in Berufen wie seinem, in dem die Menschen den Beruf liebten, wichtig. „Wir müssen smart statt hart arbeiten“, schmunzelt er.
Natürlich spielt für ihn als Chef auch das Arbeitsergebnis eine Rolle. Doch das sei nicht besonders gut, nur weil Mitarbeiter von frühmorgens bis spätabends arbeiteten, sondern dann, wenn sie selbst zufrieden seien und ihre Stärken im Job einsetzen könnten. „Wenn ich vormittags gearbeitet habe, kann ich nachmittags ganz entspannt den Keller aufräumen, mit meinen Kindern zum Spielplatz gehen oder etwas anderes machen. Das macht mich zufrieden. Und das gibt neue Energie fürs Arbeiten“, ist er überzeugt. Für stundenlanges Arbeiten sei unser Gehirn ohnehin nicht ausgelegt. „Nach Studien können wir höchstens drei Stunden am Tag produktiv arbeiten“, zitiert er. Diese Erkenntnis sei mit ein Grund für die Reduzierung der Arbeitsstunden in seinem Unternehmen gewesen.
Mitarbeiter stehen im Mittelpunkt
Ein „Zaubertrick“, wie er es bezeichnet, sei auch, dass er schaue, was seine Mitarbeiter für Talente und Stärken mitbrächten. Danach stelle er dann die Teams zusammen. Jeder Mitarbeiter nehme an einer Analyse seiner Stärken teil und könne sich dann anhand seiner Fähigkeiten und Talente einbringen. Auch das zahle auf die Zufriedenheit ein: „Wenn Menschen ihre Stärken beim Arbeiten nutzen können, sind sie zufrieden.“ Und Zufriedenheit sporne sie zu Höchstleistung an, so dass sie schneller zum Ziel kämen. Die Mitarbeiter haben dabei viel Spielraum: „Wir wollen dahin kommen, dass die Menschen selbst einschätzen, wo sie wirksam werden können.“
Durch die Eigenverantwortung, die Flexibilität und den Zeitgewinn nehme auch das Bewusstsein der Mitarbeiter für sich selbst zu, hat Rheingans festgestellt: „Die Menschen haben mehr Zeit, darüber nachzudenken, was ihnen wichtig ist, und das auch zu tun. Er habe erlebt, dass manche Mitarbeiter plötzlich auf dem Markt Gemüse gekauft hätten, um sich Frisches zu kochen und achtsamer zu ernähren. Andere hätten angefangen, ein Instrument zu spielen oder eine Sprache zu lernen. „Wie auch immer sie sich weiterentwickeln, das weitet den Kopf“, ist Rheingans überzeugt. Das zahle auf die Innovationsfähigkeit eines Unternehmens ein. Zudem hätten Menschen oft auch in ihrer Freizeit – unter der Dusche oder auf dem Spielplatz, wenn sie ihren Kindern zuschauen – Ideen, die sie in ihre Arbeit einfließen lassen können – kreative Ideen, die Unternehmen weiterbringen könnten.
Teambuilding fördern
Damit das Miteinander unter den Kollegen und in den Teams während der straff organisierten Arbeitsstunden nicht zu kurz kommt – schließlich fällt bei Rheingans der kurze Plausch mit Kollegen in der Kaffeeküche aus –, brauche es nicht, so der Firmeninhaber, Treffen in Präsenz. Er hat beispielsweise einen Yogakurs und ein gemeinsames freiwilliges Mittagessen zum Wochenabschluss etabliert.
Zudem hat er einen Teams-Kanal eingerichtet, in dem die gesamte Belegschaft – insgesamt 16 Mitarbeiter – alles notieren kann, was sie bewegt. Mitarbeiter schreiben in den Kanal, wenn die Milch im Büro sauer sei, wenn ein Projekt nicht gut oder besonders gut laufe, es ihnen nicht gutgehe und auch, wenn spannende Impulse die Firma oder einzelne Projekte beflügeln könnten. Einmal pro Woche spricht das ganze Team eine halbe Stunde lang über die Punkte. Es versucht, sie zu lösen – notfalls mit einem externen Berater oder einem Coach. „Damit haben wir einen Beziehungsraum geschaffen, der das Team stärkt“, erklärt Rheingans. Damit die Beziehung funktioniere, gebe es eine „Kulturwächterin“, die darauf achte, dass sämtliche Themen möglichst wertfrei kommuniziert würden.
Fluktuation durch Selbstverwirklichung
Auch wenn Rheingans das Konzept der 5-Stunden-Tage generell überzeugt, gab es auch Zeiten des Zweifelns. Gerade in den ersten Jahren habe er das Konzept hinterfragt, wenn Prozesse im Unternehmen nicht gut liefen. Doch jedes Mal sei er zu der Erkenntnis gekommen, dass die Prozesse selbst die Fehler verursacht hätten, nicht die verkürzten Arbeitszeiten. Dann hätte die Belegschaft die Prozesse verbessert und somit das Problem behoben. Ohnehin seien in der Welt – voller Unsicherheiten und permanenter Veränderungen – ständige Anpassungen an den Wandel notwendig und gewünscht.
Auch gibt er zu: „Trotz unserer guten Arbeitsbedingungen haben wir festgestellt, dass es auch bei uns im Unternehmen Fluktuation gibt.“ Das habe ihn anfangs überrascht. Doch in Gesprächen hätten die Mitarbeiter ihm bestätigt, dass sie das Unternehmen nicht verließen, weil sie mit dem Arbeiten unzufrieden seien, sondern vielmehr, weil sie etwas Neues machen wollten. „Wir schenken unseren Mitarbeitern Zeit und Möglichkeiten, sich selbst zu entwickeln. Das kann natürlich dazu führen, dass sie an einen Punkt kommen, an dem sie etwas anderes machen möchten und neue Herausforderungen suchen“, erklärt der Firmeninhaber.
Haltungswandel ist notwendig
Generell wünscht er sich einen Haltungswandel in noch mehr Unternehmen und in der Gesellschaft. Dass kaum ein Unternehmen bei den Arbeitszeiten ein innovatives Modell wage, findet er „fast schon blamabel“. Schließlich könne sich niemand dem Wandel, der unweigerlich kommen werde, verschließen. „Der Wandel schreitet voran. Wir haben keine andere Wahl.“
Natürlich müsse nicht jedes Unternehmen eine 25-Stunden-Woche einführen wie Rheingans‘ Agentur. Vielmehr sollte jede Organisation schauen, was für sie passe, wie sie ihre Abläufe optimieren und dazu beitragen könne, dass es den Menschen besser gehe. Ob letztendlich vier Tage pro Woche, fünf Stunden am Tag, remote oder anders gearbeitet wird: Hauptsache sei, sich nicht dem Wandel zu verschließen und gemeinsam mit den Menschen passende Wege zu finden. „Neben der Arbeit, an die wir hohe Ansprüche stellen, sollten wir so viel Zeit für das Leben übrig lassen wie möglich“, rät Lasse Rheingans.
Kirstin Gründel